Nervenkrankheit Wenn Pestizide Parkinson auslösen
Weltweit ist die Zahl der Parkinson-Erkrankten in den vergangenen Jahren gestiegen. So stark, dass die alternde Bevölkerung nicht die einzige Erklärung sein kann. Auch Umweltgifte können eine Rolle spielen.
Bei Ulli Elixmann machte sich die Erkrankung 2006 bemerkbar, beim Zurückschneiden der Rosen. Auf einmal hatte der Gärtner keine Kraft mehr in der rechten Hand. Schnell wird klar: Ulli Elixmann hat Parkinson, eine schwere, fortschreitende Nervenerkrankung.
Erst ist es nur ein Verdacht: Könnte seine Arbeit mit Pestiziden der Auslöser sein? Über Jahre hatte er damit Kontakt - damals oft ohne Schutzanzug und Atemmaske. Mittlerweile ist der Zusammenhang vom Umweltgiften und Parkinson wissenschaftlich anerkannt.
Bei der Parkinson-Erkrankung gehen im Gehirn über die Jahre immer mehr Nervenzellen zugrunde, die den Botenstoff Dopamin produzieren. Das hat zur Folge, dass die Kommunikation zwischen Gehirn und Muskeln nicht mehr so gut funktioniert. Es kommt zu Zittern und Bewegungseinschränkungen am ganzen Körper.
Anerkanntes Risiko für Landwirte
Zu den Risikofaktoren für eine Parkinson-Erkrankung gehören neben einer erblichen Veranlagung und zunehmendem Lebensalter auch eine entzündungsfördernde Ernährung mit viel Zucker und Fleisch, wenig Bewegung - und: Umweltgifte wie Pestizide.
Besonders gefährdet sind auch Landwirtinnen und Landwirte und ihre Angehörigen. Pflanzenschutzmittel werden nach wie vor in großem Umfang eingesetzt, um Schädlinge fernzuhalten. Aber sie wirken auch dort, wo sie nicht erwünscht sind - sie reduzieren die Artenvielfalt und verschlechtern die Wasserqualität. Und sie können dem Menschen schaden.
"Parkinson-Syndrom durch Pestizide" jetzt Berufskrankheit
Im Frühjahr dieses Jahres hat der Ärztliche Sachverständigenbeirat Berufskrankheiten (ÄSVB) beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales nun eine wissenschaftliche Empfehlung für eine neue Berufskrankheit "Parkinson-Syndrom durch Pestizide" beschlossen. Der Empfehlung war ein langjähriger, sehr intensiver Beratungsprozess vorausgegangen. Die Ärztinnen und Ärzte hatten zahlreiche, internationale Studien ausgewertet.
"Ein Meilenstein" sei diese Entscheidung, findet die Parkinson-Expertin Daniela Berg vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) in Kiel. Nicht nur, weil sie für die Betroffenen wichtig sei. Sondern auch, weil wir merkten, "was wir unserer Umwelt antun. Und dass es eben nicht nur darum geht, dass es eine gesunde Umgebung gibt, sondern dass wir merken, dass es auch etwas mit unserer Gesundheit als Menschen macht".
Wie Umweltgifte dem Gehirn schaden
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gehen davon aus, dass Pestizide die Mitochondrien - also die Kraftwerke der Zellen - direkt im Gehirn nach und nach zerstören. Pestizide scheinen aber auch über den Darm zu wirken, sagt Eva Schäffer. Die Neurologin vom UKSH in Kiel hat sich auf diesen Forschungsansatz spezialisiert. Sie geht davon aus, dass es zumindest bei einem Teil der Betroffenen zu einer Veränderung des Darmmikrobioms kommt, also jener Gesamtheit von Mikroorganismen - Bakterien, Pilze und Viren - die den menschlichen Darm bevölkern.
Pestizide könnten dort dafür sorgen, dass für uns "schlechte" Mikroorganismen die Oberhand gewinnen und einen Entzündungsprozess in Gang setzen. In der Folge wird die Darmwand durchlässiger, Schadstoffe können in den Blutkreislauf gelangen.
Zudem gibt es eine direkte Verbindung zwischen Darm und Gehirn - den Vagus-Nerv. Alpha-Synuclein, ein fehlgefaltetes Eiweiß, das sich bei fast allen Parkinson-Erkrankten findet, könnte auch auf diesem Weg das Gehirn erreichen. Aber es gebe vermutlich noch viele andere Mechanismen, so Neurologin Schäffer, die an der Ausbreitung der Krankheit beteiligt seien - etwa das Immunsystem. Pestizide und weitere mögliche Parkinson-Auslöser.
Weitere Faktoren können Parkinson auslösen
Und Pestizide sind vermutlich auch nicht die einzigen Umweltfaktoren, die Parkinson auslösen können. Daniela Berg nennt Luftverschmutzung, Feinstaub, Mikroplastik und Lösungsmittel als weitere, mögliche Kandidaten. Aber da, sagt die Neurologin, müsse die Datenlage noch besser werden, um die Zusammenhänge besser zu verstehen.
Bei Pestiziden dagegen ist der Zusammenhang auch deshalb so plausibel, weil zwei von ihnen im Tiermodell genutzt werden, um Parkinson in den Mäusen auszulösen. Sie sorgen dafür, dass die Dopamin-produzierenden Nervenzellen zugrunde gehen. An den Tieren lässt sich dann studieren, wie sich die Krankheit unter unterschiedlichen Rahmenbedingungen entwickelt.
Gefahr durch Nahrungsmittel?
Glyphosat - eines der bekanntesten Unkrautbekämpfungsmittel - lasse sich im Urin von Menschen nachweisen. Ob die Menge, die wir indirekt über die Nahrung zu uns nehmen, der menschlichen Gesundheit schade, sei noch unklar, sagt Neurologin Berg. Aber sie mahnt, dass man Pestizide, die bei Menschen, die damit beruflich umgehen Parkinson auslösen könnten, nicht bedenkenlos weiterverwenden dürfe. Man müsse nach Alternativen suchen: "Wir brauchen gute Ernten, wir müssen die Weltbevölkerung ernähren. Aber es kann ja nicht sein, dass wir die Umwelt und die Menschen damit vergiften."
Trotz neuer Rechtslage: Ulli Elixmann hat den Kampf mit der Berufsgenossenschaft um die Anerkennung seiner Parkinson-Erkrankung als Berufskrankheit noch nicht gewonnen. Der 64-Jährige muss nun detailliert nachweisen, dass er an mindestens hundert Tagen Umgang mit Pestiziden hatte. Nur dann bekommt er eine Zusatzrente - und wird von Zuzahlungen zu Medikamenten und Therapien befreit.