Kinderwunschbehandlungen Faktor für männliche Unfruchtbarkeit entschlüsselt
Rund ein Drittel aller Paare zwischen 25 und 50 Jahren möchte Kinder - doch es klappt nicht. Woran das liegt, lässt sich nicht immer klären. Eine Forschungsarbeit aus Münster gibt neue Hinweise.
Viele Paare in Deutschland wünschen sich ein Kind, haben aber Probleme damit, schwanger zu werden. Die Ursachen dafür sind vielfältig und erst teilweise bekannt. Die Studienlage ist vor allem für die männliche Unfruchtbarkeit lückenhaft, jahrelang wurde dazu wenig bis gar nicht geforscht.
Bei einem Drittel der Männer, die erwiesenermaßen medizinisch unfruchtbar sind, kann die Untersuchung der Spermien nicht erklären, was die Ursache dafür ist. Denn bei ihnen sieht die "Samenanalyse unter dem Mikroskop erst mal vollkommen unauffällig und normal aus", erklärt der Reproduktionsmediziner Timo Strünker von der Universität Münster. Alles an den Spermien scheint so zu sein, wie es sein sollte: Sie schwimmen gut und sind auch in ausreichender Menge vorhanden. Nichts weist auf ein Problem hin.
Trotzdem können diese Männer keine Kinder zeugen. "Und das ist natürlich ein Problem, weil bei diesen Männern, bei denen vermeintlich alles normal aussieht unter dem Mikroskop, weiß man dann auch nicht, welche Therapie man diesen Paaren anbieten soll." Betroffene Paare berichten deshalb häufig von vielen vergeblichen Versuchen, doch noch schwanger zu werden.
Den Spermien fehlt der Turbo
Dem interdisziplinären Forschungsteam von der Universität Münster ist es gelungen, bei der Untersuchung von nahezu 2.300 Männern eine häufige Ursache für diese Form der Unfruchtbarkeit zu entdecken. Sie konnten einen defekten Ionenkanal identifizieren, namens CatSper, der den Kalziumhaushalt des Spermiums regelt.
Zur Erklärung: Spermien haben mehrere dieser sogenannten Ionenkanäle. Deren Zusammenspiel ist nötig, damit sich die Samenzellen im weiblichen Körper bis zur Eizelle hinbewegen können. Indem sie ihnen den Schwung geben, den sie brauchen, um voranzukommen. Und zwar dadurch, dass diese Kanäle sowohl die elektrische Erregung als auch den Ionenhaushalt der Spermien und damit deren Antriebseinheit steuern. CatSper heißt der Kanal, der dafür zuständig ist, dass die Samenzelle quasi den Turbo einschaltet und damit die letzte Hürde auf dem Weg in die Eizelle überwinden kann.
"Wir konnten feststellen, dass dieser Kanal in diesen Spermien gar nicht funktioniert oder nicht richtig funktioniert", sagt Mediziner Strünker. "Und das führt dazu, dass sich die Spermien nicht mehr durch die schützende Hülle der Eizelle hindurchbohren können." Das aber sei der letzte und auch notwendige Schritt, damit die Eizelle befruchtet wird. "Wenn dieser CatSper-Kanal nicht richtig funktioniert, dann schaffen die Spermien das nicht. Und bleiben, bildlich gesprochen, in der Eihülle stecken." Und damit ist weder eine Befruchtung der Eizelle noch eine Schwangerschaft möglich.
"Da fehlt ein Stück unserer DNA"
Um herauszufinden, wieso dieser Kanal nicht funktioniert, hat deshalb ein weiteres Team der Universität Münster das Erbgut dieser Männer untersucht - und tatsächlich eine genetische Abweichung gefunden. Das Gen für den CatSper-Kanal war bei ihnen entweder nicht vollständig vorhanden oder es fehlte sogar komplett, erklärt der Reproduktionsgenetiker Frank Tüttelmann.
"Da fehlt ein Stück unserer DNA, unseres Erbmaterials. Dieses Gen ist gar nicht vorhanden, es wird gar nicht gebildet. Und dementsprechend funktioniert der Kanal nicht." Und da es sich um eine genetische Abweichung handelt, lässt sie sich auch nicht ohne weiteres reparieren. Die Spermienfunktion lässt sich demnach in einem solchen Fall nicht wiederherstellen.
Unter dem Mikroskop sehen die Spermien der betroffenen Männer "normal" aus. Doch ihnen fehlt ein wichtiger Ionenkanal.
Kinderwunschbehandlung könnte angepasst werden
Deshalb bleibt den Paaren mit dieser genetischen Besonderheit nur ein Ausweg, um sich den Wunsch nach einem leiblichen Kind zu erfüllen: die sogenannte ICSI-Methode, mit der die Spermien im Reagenzglas direkt in die Eizelle gespritzt werden. Üblicherweise aber steht diese Methode in vielen Kinderwunschzentren nicht an erster Stelle bei der Behandlung, sagt Mediziner Strünker. Deshalb durchlaufen Paare, bei denen kein eindeutiger Hinweis vorliegt, worin genau die männliche Unfruchtbarkeit begründet ist, häufig viele Kinderwunschbehandlungen, die aber alle scheitern.
Sowohl die sogenannte Insemination, bei der die Spermien in die Gebärmutter gebracht werden, als auch die sogenannte In-Vitro Fertilisation, bei der Ei- und Samenzelle in einem Reagenzglas zusammengebracht werden, sind bei einem defekten CatSper-Kanal vergeblich. Deshalb sei es durch die jetzt gewonnenen Erkenntnisse möglich, nicht nur die Ursache für die männliche Unfruchtbarkeit zu erkennen, sondern auch die Kinderwunschbehandlung anzuwenden, die tatsächlich erfolgversprechend ist, so Sabine Kliesch, Chefärztin der Abteilung für Klinische und Operative Andrologie der Universität Münster.
Und Reproduktionsmediziner Strünker betont, dass diese Erkenntnis vor allem für die Frauen eine deutliche Verbesserung bei der Kinderwunschbehandlung bedeutet: "Ich kenne kein anderes Krankheitsbild, wo ich als Mann krank bin, und am Ende die Frau behandelt wird und das medizinische Risiko tragen muss. Tatsächlich ist es so, dass man den Paaren, also sprich der Frau, unnötige Hormonbehandlungen und Stimulation und Eizellentnahmen ersparen kann und direkt die Methode auswählen kann, die dann eben zum Erfolg führt."
Test bereits verfügbar
Der Labortest, den die Forschenden der Universität Münster entwickelt haben, um herauszufinden, ob der CatSper-Kanal funktioniert oder nicht, ist bereits zertifiziert. In der Anwendung soll er so einfach sein wie ein Covid-Antigen-Schnelltest, sagen die Forschenden. Und das bedeutet, dass er den Kinderwunschzentren bereits zur Verfügung steht.
Aber damit sind noch längst nicht alle Rätsel um die männliche Unfruchtbarkeit gelöst: Der CatSper-Kanal ist sicherlich nicht die einzige Ursache dafür, meint Reproduktionsmediziner Strünker. Deshalb arbeiten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Münster weiter an dem Thema. Forschungsgelder von der Deutschen Forschungsgemeinschaft sind dafür schon bewilligt.