Wellen an der Küste von Korsika

Riesenwellen Wie Europa sich für Tsunamis wappnet

Stand: 15.12.2024 07:57 Uhr

Vor 20 Jahren ereignete sich in Asien die bislang größte Tsunami-Katastrophe. Hunderttausende Menschen starben. Solche Wellen sind auch in Europa möglich. Die Wissenschaft arbeitet an Frühwarnsystemen.

Von Christina Gantner und Jan Kerkhoff, BR

Etwa zehn Prozent aller Tsunamis weltweit treten im Mittelmeer auf. Statistisch gesehen bedeutet das: Alle 100 Jahre trifft eine katastrophale Welle die Bevölkerung. Beim letzten großen Ereignis - 1908 in Süditalien - starben mehrere Tausend Menschen. Für die Entstehung der Riesenwellen gibt es mehrere Gründe: starke Erdbeben unter Wasser an der Küste Nordafrikas oder Seebeben vor der Küste Italiens.

Rambazamba im Meer

Die Riesenwellen entstehen, so die Geologin Heidrun Kopp vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung, weil sich ozeanische und kontinentale Erdplatten treffen und übereinanderschieben. "Wenn ganze Gebirgsketten von einem ganzen Kontinent verschluckt werden, dann geht das nicht ohne richtig Rambazamba, das heißt ohne Starkbeben."

Die Erdbeben versetzen dabei den Meeresboden in Schwingungen und heben die gesamte Wassersäule an. Wellen entstehen, die mit bis zu 700 Kilometern pro Stunde auf die Küsten zurasen und im flacheren Wasser am Ufer aufgetürmt werden.

Der Vulkan Ätna im Hintergrund mit einigen Bäumen im Vordergrund.

Wenn ein Teil des Ätna ins Meer rutscht, entsteht ein Tsunami.

Wenn ein Vulkanhang abrutscht

Auch ein Vulkanausbruch, zum Beispiel des Ätna auf Sizilien, könnte einen Tsunami auslösen. Ein Team des GEOMAR erforscht das dortige Risiko. Der Fuß des Ätna steht nicht nur auf dem Festland, ein Teil seines sogenannten "Vulkangebäudes" ragt weit ins Meer. Wenn ein Teil davon - über oder unter Wasser - abrutscht, so die Geologin Morelia Urlaub, und "die Masse, die sich in Bewegung setzt, die Wasseroberfläche erreicht und dann auch das Wasser verdrängt, entsteht ein Tsunami".

Hangrutsch mit Schall erkennen

Morelia Urlaub und ihr Team haben Messstäbe unter Wasser montiert. Einen Teil auf den Fuß des Vulkans, einen Teil auf den Meeresboden. Die Messstäbe schicken sich gegenseitig Schallwellen zu. Unter Wasser breitet sich Schall immer mit derselben Geschwindigkeit aus. So kann die Entfernung zwischen den Messstäben gemessen werden. Rutscht die Vulkanflanke ab, verschieben sich die Abstände der Messstäbe und es verändern sich die Messwerte.

Zurzeit, so Morelia Urlaub, bewegt sich der Ätna unter Wasser ähnlich schnell wie an Land - mit zwei bis drei Zentimetern pro Jahr. Im Moment gibt es aber keine Hinweise, dass die Bergflanke plötzlich ins Meer abrutscht, so Urlaub. "Das Problem aber ist, dass wir gar nicht so genau wissen, was die Anzeichen dafür sind."

Lena Ganschow, Charlotte Krawczyk und Gilda Currenti im Ätna Observatorium.

Derzeit gibt es keine Hinweise auf ein Abrutschen des Ätna.

Frühwarnsystem mit Glasfaser

Eine weitere Technik soll helfen, frühzeitig Vulkanaktivitäten und damit Tsunami-Gefahren zu erkennen. Das GEOMAR-Team hat am Ätna Glasfaser-Kabel verlegt. Durch sie wird ein Laserstrahl geschickt. Das Licht bricht sich in den kleinen Glasfasern im Kabel und erzeugt ein Bild auf einem Display. Bleiben Erde und Kabel ruhig, ist das Bild immer das dasselbe.

Wackelt die Erde, wie bei einem Erdbeben oder Hangrutsch, verändert sich das Bild und macht eine Gefahrenlage sofort erkennbar. Die Glasfaserkabel können auch im Meer verlegt werden und bieten so eine relativ einfache und vergleichsweise günstige Möglichkeit, frühzeitig zu warnen, so Charlotte Krawczyk vom GEOMAR. "Wir denken, dass am Ende der Nutzen für die Menschheit auch wirklich groß sein kann."

Monitor im Ätna Observatorium.

Die Küsten des Mittelmeeres sind einander so nahe, dass man nicht viel mehr als ein paar Minuten hätte, um sich in Sicherheit zu bringen.

Kurze Vorwarnzeit am Mittelmeer

Je schneller die Warnung, desto besser. Denn die Vorwarnzeit ist am Mittelmeer kurz, da die Küsten im Vergleich zu den Ozeanen einander sehr nahe sind. In Ozeanen kann es sein, dass ein Tsunami erst Stunden nach einem Erdbeben oder Vulkanausbruch eine Küste trifft. Im Mittelmeer, so Heidrun Kopp, geht es um "Minuten, bis Zehner-Minuten maximal." Am Strand von Cannes, an der französischen Mittelmeer-Küste, haben Matthieu Péroche von der Universität Montpellier und Yannick Ferrand von der hiesigen Stadtverwaltung ein Frühwarnsystem für Badegäste und nahe dem Ufer lebende Menschen entwickelt.

Filmen statt fliehen - der größte Fehler

Im Ernstfall ertönen dann Sirenen, und an der Uferpromenade installierte Lautsprecher fordern die Menschen auf, kleinen Warnschildern zu folgen. Auf denen zeigt ein Richtungspfeil, wohin man fliehen soll. "Reale Ereignisse zeigen, dass die Menschen sonst neugierig auf die Naturkatastrophe reagieren. Sie bleiben stehen und filmen mit ihren Smartphones," so Péroche.

Er befürchtet auch, dass viele ihre Autos benutzen, um in höher gelegene Gebiete zu fliehen. Das könnte die Straßen verstopfen und die Evakuierung für alle anderen verlangsamen. Cannes setzt deshalb auf eine schnelle Flucht zu Fuß. Und auf Aufklärung und Sensibilisierung der Bevölkerung. Die Einwohnerinnen und Einwohner der Stadt werden aktiv eingebunden. So beteiligen sich alle Geschäftsleute an der Küste bei "Cannes Alerte", um eine Warn-SMS zu erhalten. Und sie haben sich verpflichtet, Touristen im Ernstfall zu den Fluchtorten zu führen.

Tsunami an der Nordsee?

Auch an der deutschen Küste sind Tsunamis möglich, nicht so gewaltig, wie der im Indischen Ozean, aber ausreichend, um Badende zu gefährden. Der Mathematiker Jörn Behrens beschäftigt sich mit dem Phänomen und weiß von einem Tsunami-Ereignis 2013, bei dem Badende von einer plötzlich auftretenden, eineinhalb Meter hohen Welle überrascht wurden, obwohl sonst kein Seegang war.

Bei diesen Wellen handelt es sich um sogenannte Meteo-Tsunamis. Steigt über dem Meer viel warme Luft auf, kann sich ein großes Tiefdruckgebiet bilden. Der Luftdruck darunter fällt stark ab, was zu einem leichten Anstieg des Meeresspiegels führt. Der Unterdruck saugt das Wasser leicht in die Höhe. Durch die schnelle Druckveränderung kann eine große Welle entstehen, die sich immer höher aufschaukelt, wenn sich das Tiefdruckgebiet mit der gleichen Geschwindigkeit wie die Welle bewegt.

Schließlich löst sich der Meteo-Tsunami von der Sturmfront und läuft eigenständig in Richtung Strand. Versuche in einem Wellenkanal haben gezeigt: Selbst diese kleinen Tsunamis haben so viel Wucht, dass sie Menschen am Strand umwerfen und beim Zurücklaufen mit ins Meer ziehen können.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtet das Erste am 16.02.2024 um 22:50 Uhr.