Billie Eilish

Neue Studie Erhöhtes Depressionsrisiko bei Musikern?

Stand: 25.02.2023 09:15 Uhr

Wie Musikalität und psychische Gesundheit zusammenhängen haben Wissenschaftler an einer großangelegten Zwillingsstudie erforscht. Das Team warnt allerdings davor, das statistische Ergebnis auf Einzelpersonen anzuwenden.

Von Anja Braun, SWR

Musizieren ist gut ist für eine gesunde Psyche: So lautet bisher der Forschungsstand, und genau diesen Ansatz verfolgen zum Beispiel auch Musiktherapien. Dennoch scheinen Musikerinnen und Musiker - verglichen mit musikalisch inaktiven Menschen - häufiger unter Depressionen und Angststörungen zu leiden. Wie das zusammenpasst, hat ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung des Max-Planck-Instituts für empirische Ästhetik (MPIEA) in Frankfurt am Main genauer untersucht.

Um einen möglichen Zusammenhang zwischen Musikalität und psychischer Gesundheit zu finden, nutzten sie das schwedische Zwillingsregister: "Wir haben 30.000 Zwillinge eingeladen, uns Antworten zu geben", berichtet Senior-Studienleiterin Miriam Mosing vom MPIEA. Abgefragt wurde die musikalische Aktivität, also welche Instrumente sie spielen, wie viel sie spielen und auch wie erfolgreich sie sind im Bereich der Musik. "Und dann haben wir sie dann auch gefragt, ob sie an psychischen Problemen leiden und wie oft", so Mosing.

Zwillinge sind für solche Studien ideal, denn sie wachsen meist im selben Haushalt auf und haben komplett oder zumindest teilweise die gleichen Gene - je nachdem, ob es ein- oder zweieiige Zwillinge sind.

Zwillingsstudie bestätigt den Zusammenhang

Zunächst zeigte sich, dass die Zwillinge, die ein Musikinstrument spielten und auch erfolgreich waren beim Musizieren, häufiger berichteten, dass sie Probleme mit ihrer psychischen Gesundheit hatten. Im nächsten Schritt untersuchte das Forschungsteam, ob musikalische Aktivität unter Umständen psychisch krank machen kann - oder ob umgekehrt psychische Probleme dazu führen können, dass Menschen musikalisch aktiv werden. So eine Kausalität hätte sie aber nicht feststellen können, betont Verhaltensgenetikerin Mosing.

Es bedeutet laut Forscherteam auch nicht, dass sich das Risiko für Depressionen erhöht, wenn man Musik macht oder als Kind musikalische Förderung genießt. Es sei nur so, dass jene, die musikalisch sind, ein etwas höheres Risiko für psychische Erkrankungen hätten - und zwar genetisch angelegt.

Kurt Cobain

Rockstar Kurt Cobain (1967-1994) litt höchstwahrscheinlich an einer bipolaren Störung.

Risiko wird mit polygenetischen Scores ermittelt

In einem weiteren Schritt nahm das Team die genetische Beziehung zwischen Musikalität und psychischer Gesundheit unter die Lupe. Dabei konnte es auf die molekularen Daten von ungefähr 5000 Zwillingen zugreifen. Diese hatten eingewilligt, auch Informationen über ihre DNA und ihre Gene zur Verfügung zu stellen. Darauf basierend errechneten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sogenannte polygenetische Scores: Das sind genetische Risikowerte, die bestimmte erbliche Merkmale von Menschen mit genetischen Auffälligkeiten im Erbgut in Zusammenhang bringen.

In diesem Fall berechnete das Team einmal Werte für das genetische Risiko der Zwillinge für psychische Erkrankungen und zum anderen für deren genetische Veranlagung zur Musikalität. Die Datenauswertung zeigte, dass Menschen mit einem höheren genetischen Risiko für Depressionen und bipolare Störungen im Durchschnitt auch häufiger musikalisch aktiv waren, mehr übten und Leistungen auf einem höheren künstlerischen Niveau erbrachten.

Nur leicht höheres genetisches Risiko für musikalische Menschen

Interessanterweise traten diese Zusammenhänge unabhängig davon auf, ob die Personen tatsächlich psychische Probleme hatten. Gleichzeitig zeigte sich, dass Menschen, die ein höheres musikalisches Talent mitbrachten, eine größere Wahrscheinlichkeit hatten, später an einer Depression zu erkranken. Und auch das war unabhängig davon, ob diese Menschen tatsächlich ein Instrument spielten.

Man kann also sagen, dass musikalische Menschen im Schnitt ein leicht höheres genetisches Risiko für bestimmte psychische Erkrankungen haben. Denn die genetischen Varianten, die psychische Probleme beeinflussen, und solche, die auf musikalisches Engagement einwirken, überschneiden sich. Die Ergebnisse dieser weiterführende Studie wurden jüngst im Open-Access-Fachmagazin "Translational Psychiatry" veröffentlicht.

Zusammenhang nur bei Betrachtung der Gesamtpopulation

Dabei ist es ganz wichtig festzuhalten, dass es sich tatsächlich nur um einen kleinen Unterschied handelt und dass die Forschung hier immer nur einen Durchschnitt ermitteln kann. Studienleiterin Mosing verdeutlicht, dass diese polygenetischen Scores nicht auf einem individuellen Level angewandt werden können.

Wenn sie etwa einen Musiker und einen Nichtmusiker nach Zufallsprinzip aussuche, könne sie nicht mit Sicherheit sagen, dass der Erstere ein größeres Risiko habe als der Letztere. "Das ist nur anwendbar auf der Ebene der Gesamtpopulation. Aber im Durchschnitt ist es tatsächlich so, dass Musikerinnen und Musiker ein leicht erhöhtes Risiko für Depressionen haben", sagt die Wissenschaftlerin.

Hilfe für Betroffene
Beim Verdacht auf eine Depression und als erste Anlaufstelle für Betroffene bieten die bundesweite Telefonseelsorge (https://www.telefonseelsorge.de) und die Stiftung Deutsche Depressionshilfe (https://www.deutsche-depressionshilfe.de) Unterstützung per E-Mail, Chat und Telefon.
Telefonnummern der Telefonseelsorge: 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222

In akuten Krisen, Notfällen und bei Suizidgedanken sollte umgehend eine psychiatrische Klinik oder der Notarzt telefonisch unter der 112 kontaktiert werden. Hier können psychiatrische Kliniken in der Umgebung gesucht werden.

Zusätzlich sollte in jedem Fall das Gespräch mit einem Arzt beziehungsweise mit einem Psychotherapeuten gesucht werden. Die hausärztliche Praxis sowie Online-Plattformen können bei der Suche und Vermittlung helfen.