Big Data, Digitalisierung und die Arbeitswelt "Selbstbestimmung außer Kraft gesetzt"
Was bedeuten Big Data und künstliche Intelligenz für unsere gesellschaftliche Zukunft? Die Technologie-Unternehmerin Yvonne Hofstetter appelliert seit Jahren an die Politik, mehr zu regulieren. So auch im "Bericht aus Berlin", der sich mit Arbeit 4.0 beschäftigt.
Frau Hofstetter, Arbeitsministerin Andrea Nahles ist der Ansicht, durch die Digitalisierung fielen Tätigkeiten, aber nicht ganze Berufe weg. Immer wieder wird darüber diskutiert, in welchem Ausmaß die Digitalisierung tatsächlich unsere Arbeitswelt verändern wird. Was ist Ihre Einschätzung?
Yvonne Hofstetter: Die Folge der Digitalisierung ist natürlich ein hoher Grad an Automatisierung. Das liegt daran, dass wir in der Digitalisierung viel kopieren können - auch den Menschen und menschliche Tätigkeiten. Wir alle haben die großen Automobilhersteller vor Augen: Die Herstellungsstraßen sind mit Robotern versehen. Das ist schon lange Realität.
Aber auch der dritte Sektor wird automatisiert werden: der Bereich der Dienstleistungen. Dabei geht es auch um Berufe, bei denen wir bis heute davon ausgingen, dass sie gar nicht automatisierbar sind: Nachrichtenjournalisten, Komponisten oder Übersetzer etwa werden wegfallen. Wohl auch Rezeptionisten an Hotellobbys.
In Japan hat dieses Jahr das erste Hotel eröffnet, das nur mit Robotern geführt wird. Da steht kein Mensch mehr hinter der Theke, sondern ein Roboter empfängt die Gäste - "Humanoide", die aussehen wie Frauen und entsprechend angezogen sind. Also, das wird kommen. Natürlich ist Japan sehr roboterfreundlich, und wir sind hier nicht so technologieaffin - aber damit müssen wir in den kommenden 15 bis 20 Jahren rechnen.
"Aktuelle gesellschaftliche Verhältnisse bedroht"
Die Automatisierung vieler Berufe ist also aus Ihrer Sicht unausweichlich. Was bedeutet dieser Wandel der Arbeit für die Gesellschaft?
Hofstetter: Die Digitalisierung bedroht die aktuellen gesellschaftlichen Verhältnisse. Wenn ich auf die USA schaue, dann können wir dort am deutlichsten feststellen, wie eine Schere im Markt aufgeht: Die menschliche Arbeit leistet einen immer kleineren Beitrag zum Bruttosozialprodukt, während das Kapital und das Kapitalsubstitut - die Maschinen - immer mehr dazu beitragen. Das hat etwa in den 1970er-Jahren eingesetzt, in denen die frühe Digitalisierung begann. Seither geht die Schere zwischen Kapital und Arbeit auf - und die Arbeit hat nicht mehr denselben Anteil an der Produktivität, intelligente Maschinen, die Menschen ersetzt haben, hingegen immer mehr.
Nehmen Sie allein die Finanz-Broker. Wir haben alle noch die Broker vor Augen, die auf dem Börsenparkett viele Telefonhörer zwischen dem Ohr und der Schulter eingeklemmt hatten. Die gibt es schon lange nicht mehr. Das Berufsbild ist seit der Jahrtausendwende weggefallen, seit die Digitalisierung elektronische Online-Broker ermöglicht hat. Oder denken Sie an Taxi- und Lkw-Fahrer: Wenn sich das selbstfahrende Auto durchgesetzt haben wird, brauchen wir diese Berufsbilder nicht mehr.
Die Bundesregierung hat sich zu Beginn ihrer Legislaturperiode eine "Digitale Agenda" zum Ziel gesetzt, um auch Antworten auf den digitalen Einfluss auf die Erwerbsgesellschaft zu finden. Wie sehen Sie die Rolle der Politik, wird genügend getan?
Hofstetter: Normalerweise ist es so, dass Politik die Gesellschaft gestalten soll, und das tut sie durch Gesetzgebung. Das tut sie beispielsweise, in dem sie eine soziale Marktwirtschaft schafft, in dem sie Unternehmen reguliert.
Aber seit einigen Jahren sehen wir, dass hier jemand anderes ganz radikal umgestaltet. Und das sind eben die großen Technologiekonzerne, die über unsere Daten und die entsprechenden Technologien verfügen, uns langfristig zu automatisieren. Das sind wirklich die ganz bekannten Marken, die wir alle lieben: Google, Amazon, Facebook.
Wenn ich etwa an die Online-Vermittlung von Fahrdienstleistungen der Shared Economy denke, dann ist die Sache eigentlich relativ perfide. Dann weiß ich nämlich, dass ich als Fahrer, der sich und sein Auto zur Verfügung stellt, diese Unternehmen reich mache. Die wiederum nehmen aber das Kapital her und setzen das woanders ein, sie investieren in autonome Autos. Das heißt also, ich diene eigentlich im Augenblick dem Zweck, wegrationalisiert zu werden.
"Die Politik muss sich etwas einfallen lassen"
Also ist Ihr Appell an die Politik, dem etwas entgegenzusetzen?
Hofstetter: Wenn die Politik weiter gestalterisch tätig sein möchte, dann muss sie sich etwas einfallen lassen. Als Politik muss ich mir überlegen, ob ich bestimmte Geschäftsmodelle im Bereich der Arbeitsautomatisierung zulassen möchte. Sind diese neuen Geschäftsmodelle, die hier angeboten werden, - die ja aus einem ganz anderem Verfassungs- und Rechtsverständnis, aus einer ganz anderen geografischen Region stammen -, stehen die denn in Einklang mit unseren europäischen Ideen von sozialer Marktwirtschaft? Mit unseren Standards, was Arbeit anbelangt?
Sie sagen auch, Unternehmen schlagen aus meinen persönlichen Daten Kapital. Können Sie das etwas genauer beschreiben, wo und wie werden diese Daten abgegriffen neben Google und Facebook?
Hofstetter: Im 21. Jahrhundert laufen wir in eine starke Automatisierung unserer Umwelt hinein. Das geht beim Gesundheitsarmband los, das geht über die vernetzte Waschmaschine, den vernetzten Kühlschrank, den vernetzten Ofen, Kaffeemaschine und so weiter. Das hat eigentlich überhaupt kein Ende. Natürlich auch das selbstfahrende Auto.
Und die Frage ist, warum werden diese Daten gesammelt? Diese Daten werden gesammelt und dann im Anschluss von künstlichen Intelligenzen ausgewertet. Es werden Persönlichkeitsprofile und Verhaltensprofile von uns erstellt. Und die werden hergenommen, um uns auszusteuern.
Tatsächlich passiert das auch schon in der Wirtschaft. Dort geht die Rede um von der globalen Konsumentensteuerung. Das heißt natürlich auch schon in einem Wort, dass hier etwas außer Kraft gesetzt wird: meine Selbstbestimmung. Genau diese Selbstbestimmung ist die Grundlage unserer europäischen Verfassung, ist die Grundlage unseres Grundgesetzes und auch die Grundlage für Demokratie und für soziale Marktwirtschaft. Die setzt nämlich den freien Menschen voraus.