Rettung des Wisents Wie Artenschutz gelingen kann
Wisente waren in freier Wildbahn bereits ausgestorben. Doch vor genau 100 Jahren beschlossen zwei Zoos, Europas großes Wildrind zu retten - mit Erfolg. Heute sind die Tiere ein Beispiel, wie Artenschutz gelingen kann.
Ein Wochenende Ende August 1923. In Berlin trifft sich eine verschworene Gemeinschaft. Ihr Ziel: Die endgültige Ausrottung des Wisents zu verhindern. Denn Europas großes Wildrind war denkbar schlecht durch den Ersten Weltkrieg und die Nachkriegsjahre gekommen.
"Das letzte Wisent wurde nach dem Ersten Weltkrieg gewildert", erzählt Günter Trapp vom Wildpark Alte Fasanerie in Hanau-Klein Auheim. "Die Leute hatten nichts zu essen, haben sich geholt, was in der Nähe zu finden war, und das wurde dem Wisent zum Verhängnis."
Ausrottung "mit Ansage"
1919 war das, im Gebiet des heutigen polnisch-belarusischen Nationalparks Białowieża. Damals war der Wisent-Bestand schon lange rückläufig: Vor rund 6.000 Jahren begannen die sesshaft werdenden Europäer mit dem Abholzen der Wälder, in denen die wilden Rinder ästen. Später wurden Wisente auch gejagt oder zum Spaß getötet - beginnend mit Tierhetzen im alten Rom und endend mit Hofjagden etwa des russischen Zaren.
Glücklicherweise überlebten wenige Dutzend Wisente in der Obhut europäischer Zoos. Darunter waren auch die Zoologischen Gärten von Berlin und Frankfurt am Main. Sie ergriffen im August 1923 die Initiative.
Einige Wisente wurden auch in Deutschland ausgewildert, viele Tiere leben in Wildgehegen.
Die "Mutter" aller Artenschutzprojekte in Zoos
"Der damalige Frankfurter Zoodirektor, Dr. Kurt Priemel, hatte aufgeschrieben, wie die noch vorhandenen Wisente miteinander verwandt waren", berichtet Marko Dinter, der heute für den Zoo Frankfurt als Naturschutzreferent arbeitet. Lediglich 56 Tiere umfasste Priemels Liste, als er 1923 zum Gründungstreffen der Internationalen Gesellschaft zur Rettung des Wisents am 25. und 26. August in Berlin einlud.
Zu dieser Zeit waren bereits andere Wildtierarten erfolgreich gerettet worden - etwa der Alpensteinbock durch das Haus Savoyen und engagierte Bürger in den italienischen Alpen oder der chinesische Davidshirsch durch den Herzog von Bedford in England. Dennoch war die Wisent-Initiative etwas Besonderes: Denn erstmals in der Geschichte der Zoos begannen mehrere von ihnen zusammenzuarbeiten, um gemeinsam mit weiteren Unterstützern eine bedrohte Art zu retten.
Inzucht vermeiden dank Zuchtbuch
Im Zentrum der Bemühungen stand dabei die Erhaltungszucht. Für die kamen aber nur zwölf Wisente infrage. Die übrigen 44 waren zu nah verwandt oder nicht mehr zuchtfähig. Nachdem Priemel zum ersten Vorsitzenden der Gesellschaft gewählt worden war, initiierte man deshalb ein Zuchtbuch für Wisente.
Es gewährleistet bis heute, dass bei der Vermehrung der imposanten Rinder Inzucht so gering wie möglich gehalten wird. "Damit hat die Wisent-Zucht praktisch den Startschuss gegeben für den Erhalt ganz anderer Tierarten, die nur durch solche Zuchtprogramme gerettet werden konnten", unterstreicht Dinter die Bedeutung der Idee.
Zurück in die Natur nach 33 Jahren
Heute gibt es wieder über 8.000 Wisente. Und das nicht nur in Zoos. Denn gezüchtete Exemplare wurden an verschiedenen Stellen Europas wiederangesiedelt. Die erste Aktion dieser Art fand 1952 in Białowieża statt, dort wo 33 Jahre zuvor das letzte Exemplar starb. Nach Deutschland kehrten die Wisente 2013 zurück, ins Umland von Bad Berleburg.
Obwohl das Zusammenleben von Mensch und Wisent nicht immer konfliktfrei verläuft - etwa weil die Tiere in Wäldern Triebe und Rinden von Bäumen fressen und damit Waldbesitzer gegen sich aufbringen -, schreitet ihre Wiederansiedlung weiter voran. Europaweit wird weiter nach passenden Orten gesucht, und auch der Wildpark Alte Fasanerie in Hanau-Klein Auheim beteiligt sich mit Nachzuchten an den Maßnahmen. "In naher Zukunft stehen wieder Auswilderungen an", freut sich Tierpark-Mitarbeiterin Sabine Scholl, "als nächstes in Aserbaidschan".
Dort, im Kaukasus, sollen bis 2028 insgesamt 100 Zoo-Wisente für den Aufbau einer stabilen Population sorgen. In Zusammenarbeit mit der Umweltorganisation WWF entsendet auch der Zoo Berlin Tiere dorthin. Nach 100 Jahren ist Europas größtes Wildrind zu einem Flaggschiff und Hoffnungsträger für den Natur- und Artenschutz in Europa geworden.