Blick in die Grugahalle in Essen während des AfD-Parteitags
analyse

Offene Konflikte bleiben aus Die AfD in der Bubble

Stand: 30.06.2024 18:12 Uhr

Nach einem spektakulären Parteitag 2015 war die AfD wieder in Essen zu Gast. Auch diesmal gab es vorab genügend Zündstoff - doch die Partei hüllte sich in eine Harmonieblase. Was ist passiert?

Eine Analyse von Bianca Schwarz und Jim-Bob Nickschas, ARD Berlin

Das Wochenende in der Grugahalle in Essen fühlt sich an wie in einer Blase. Draußen protestieren mehrere Zehntausend Menschen gegen den Bundesparteitag der AfD. In der Halle ist davon nichts zu sehen oder zu hören. Die Polizei hat das Messegelände weiträumig abgesperrt, die rund 600 Delegierten der AfD sind isoliert in ihrer Bubble, mitten im "Pott".

Sylt und "starke Männer"

Wer es hineingeschafft hat in die Bubble, stößt gleich auf passendes Merchandise. Wie bei anderen Parteien ist es auch bei der AfD üblich, dass sich am Rand von Parteitagen befreundete oder inhaltlich verwandte Organisationen und Firmen präsentieren.

In der Grugahalle verkauft die Jugendorganisation "Junge Alternative" also T-Shirts mit der Aufschrift "Döp Dödödöp" - mehr braucht diese Bubble nicht, um an Gigi D'Agostinos Lied "L'amour toujours" und das Sylt-Video mit rassistischen Parolen erinnert zu werden. Darauf angesprochen heißt es am Stand, es stehe ja nicht "Ausländer raus" drauf. "Was auf Sylt passiert ist, wird aufgeblasen."

AfD-Parteitag in Essen bestätigt Doppelspitze und legt neuen außenpolitischen Kurs fest

Daniel Schmidthaeussler, ARD Berlin, Morgenmagazin, 01.07.2024 06:00 Uhr

Das neurechte Magazin "Krautzone" verkauft an seinem Stand Kartenquartette. Nur vergleicht man hier nicht Autos, sondern "Neurechte", "Internationale" und "Konservative". Wladimir Putin zum Beispiel bekommt fünf Punkte für seine Führungsqualitäten, Donald Trump vier Punkte in der Kategorie "Kapitalistenschwein" - angeboten wird das Ganze wohlweislich als "Satirequartett".

Keine Aufarbeitung, keine Diskussionen

In ihrer Blase bleibt die AfD in Essen auch bei der inhaltlichen Auseinandersetzung: Der verkorkste EU-Wahlkampf mit zwei Spitzenkandidaten, die wegen zahlreicher Skandale nicht auftreten durften, ein Wahlergebnis, das mit 15,9 Prozent unter den Möglichkeiten blieb, der Rauswurf aus der ID-Fraktion in Brüssel, durch den die AfD unter den rechten Parteien in Europa nun noch isolierter dasteht - auf der großen Bühne gibt es dazu kaum offene Diskussionen.

"Es wäre wohl nicht das Leben, käme es nicht manchmal anders als man es sich wünscht", fasst Parteichefin Alice Weidel die vergangenen Monate für die AfD lapidar zusammen. "Es hat geruckelt, gekracht, aber wir haben ein hervorragendes Ergebnis einfahren können."

Die Namen der geschassten Spitzenkandidaten Maximilian Krah und Petr Bystron, die dem Parteitag selbst fernbleiben, kommen Weidel das ganze Wochenende nicht über die Lippen, genau wie ihrem Co-Sprecher Tino Chrupalla. Nur so viel: "Manche", mahnt er, hätten "durch unvorsichtiges und unprofessionelles Verhalten (...) unnötige Angriffsfläche geboten." Und: "Wir müssen unsere Kandidaten künftig genauer ansehen." Für mehr Auseinandersetzung hätte ein Antrag aus dem bayerischen Landesverband sorgen können, der Krah als Opfer einer Schmutzkampagne sehen will. Der aber wird kurzfristig zurückgezogen.

Demonstrative Harmonie statt offener Zoff

Auch bei der Wahl des neuen Bundesvorstands müssen sich Chrupalla und Weidel im Saal keinen kritischen Fragen stellen - obwohl deutlicher Ärger in der Partei zu hören ist, vor allem über ihren Umgang mit Krah. Chrupalla gilt im Vorfeld sogar als angezählt. Grund ist der Antrag auf Einführung eines AfD-Generalsekretärs bei nur noch einem Parteivorsitzenden. Am Ende fällt der Bundesparteitag dazu aber keine Entscheidung. Ähnlich ist es bei weiteren Anträgen mit Diskussionspotential, zum Beispiel in Bezug auf Auslandreisen von AfD-Mitgliedern nach Belarus oder Russland.

Stattdessen demonstrative Harmonie: Überraschend deutlich wird Chrupalla im Amt bestätigt, mit fast 83 Prozent noch vor Weidel, die nur knapp 80 Prozent der Stimmen erhält. Leichte Risse bekommt die Harmonieblase, als Weidel später von einem Journalisten auf Chrupallas Vorsprung angesprochen wird und sich einen Seitenhieb nicht verkneifen kann: "Sie meinen die fünf Stimmen?" Genau gezählt sind es acht Stimmen und so kalt scheinen Weidel die doch nicht zu lassen.

Mehr Junge Alternative, weniger Frauen

Zwei Auffälligkeiten gibt es im ansonsten kaum veränderten Bundesvorstand: Neues Mitglied ist der Brandenburger Hannes Gnauck, Bundesvorsitzender der vom Verfassungsschutz als "gesichert rechtsextrem" geführten Jugendorganisation "Junge Alternative" (JA). Dabei ist die JA selbst innerhalb der AfD äußerst umstritten wegen ihrer Radikalität. Vorgeschlagen wurde Gnauck vom Netzwerk der jungen, aber einflussreichen AfDler um Sebastian Münzenmaier aus Rheinland-Pfalz.

Die zweite Auffälligkeit: Im neuen Bundesvorstand gibt es neben Weidel keine Frauen mehr. Während Weidel darüber scherzt, heißt es hinter vorgehaltener Hand immer wieder, die Vorsitzende würde alle Frauen, die ihr gefährlich werden könnten, "wegbeißen".

Der brüchige Frieden in der Bubble

Doch worauf beruht der ungewohnte Frieden in der Grugahalle? Im Vergleich zum spektakulären Essener Parteitag 2015 hat die AfD dazugelernt: Konflikte werden nicht mehr so häufig auf offener Bühne ausgetragen. Der Politikwissenschaftler Wolfgang Schröder von der Universität Kassel spricht sogar von einer "Altparteiisierung" der AfD.

In diesem Jahr ist der Anschein von Professionalisierung für die Partei besonders von Bedeutung, denn: Im Herbst soll "die Sonne der Regierungsbeteiligung" für die AfD aufgehen, so formuliert es Chrupalla. Und zwar im Osten, wo im Herbst Landtagswahlen stattfinden. In Thüringen, Sachsen und Brandenburg will die AfD stärkste Kraft werden. Offener Streit oder eine Demontage der Parteispitze wären da mehr als kontraproduktiv gewesen.

Allerdings könnte dieser so offensichtlich zur Schau gestellte Frieden brüchig sein. Viele AfD-Mitglieder meinten in Essen: Spätestens auf dem nächsten Bundesparteitag wird es wegen der vielen ungeklärten Fragen wieder so richtig krachen - zum Beispiel, wenn 2025 auch über eine mögliche Kanzlerkandidatur für die Bundestagswahl entschieden wird. Spätestens dann könnte die Blase der AfD zerplatzen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 30. Juni 2024 um 11:00 Uhr.