Interview mit Afghanistans geflohenem Zentralbankchef "Mein Leben war in Kabul in Gefahr"
Seine Flucht war spektakulär: Afghanistans Zentralbankchef Abdul Kadir Fitrat setzte sich Ende Juni in die USA ab. Seitdem überhäufen er und die Regierung in Kabul sich mit Korruptionsvorwürfen. ARD-Korrespondent Klaus Scherer sprach mit Fitrat über seine Flucht und über die Ausplünderung von Afghanistans Banken durch einflussreiche Personen.
Klaus Scherer: Herr Fitrat, warum haben Sie Afghanistan verlassen?
Abdul Fitrat: Weil mir von glaubwürdigen Quellen versichert wurde, dass dort mein Leben in Gefahr sei. Ich reiste nach Indien auf eine Konferenz und kehrte nicht nach Kabul zurück, sondern flog stattdessen in die USA. Ich hatte noch in Kabul zurücktreten wollen, aber ich dachte, es sei von hier aus sicherer.
Scherer: Sie haben im April in Afghanistans Parlament die Namen einflussreicher Landsleute genannt, denen Sie Finanzbetrug vorhielten, darunter Machmud Karsai, der Bruder des Präsidenten. War das der Grund?
Fitrat: Von da an gab es Verschwörungen gegen mich. Parlamentarier hatten mich gewarnt. Ich ignorierte das anfangs. Ich beantragte, die Vermögen der Beschuldigten in allen größeren Betrugsfällen einzufrieren.
Scherer: Wie kamen die Beschuldigten an die Bank-Millionen?
Fitrat: Das begann 2004. Ich übernahm den Posten im Januar 2008. Die Bankenaufsicht war bis dahin sehr schwach. Wir arbeiteten sehr hart, um das zu ändern. Zudem waren die Beschuldigten sehr einflussreich. Sie standen sozusagen zwischen mir und der Staatsführung. Sie finanzierten dem Präsidenten den Wahlkampf 2009. Einer der Eigentümer und Aktionäre der Kabul-Bank sagte mir, dass sie Karsais Kampagne einmal 3,6 Millionen Dollar anwiesen. Insgesamt waren es schätzungsweise bis zu 14 Millionen Dollar. Sie bezahlten auch 70 teure Fahrzeuge für den Wahlkampf und Medienauftritte, die sehr kostspielig waren.
Scherer: Wie wichtig war der Bruder des Präsidenten, einer der Aktionäre der Kabul-Bank, in diesem Kräftefeld?
Fitrat: Er hat seine Aktien nie bezahlt, er hatte sie geliehen. Er war eine der wichtigsten Figuren.
"Karsais Bruder entnahm Millionen"
Scherer: Wie viel Geld entnahm er der Bank?
Fitrat: Ich kann es nicht genau beziffern. Aber es waren Millionen Dollar.
Scherer: Ohne Rückzahldatum, Sicherheit und Zinsen?
Fitrat: Ohne Sicherheiten, ohne ordnungsgemäße Registrierung. Wir wiesen allein ihm zehn Betrugsfälle nach. Später zwangen wir ihn, für einen Teil der Darlehen Zinsen nachzuzahlen.
Banken als Selbstbedienungsladen?
Scherer: Das war bei der Kabul-Bank, die bald wegen der Skandale taumelte. Ist es bei anderen Großbanken denn anders?
Fitrat: Es gibt gute Banken in Afghanistan und einige andere Banken, in denen Politiker und ihre Familien noch immer auf diese Weise die Finger haben.
Scherer: Wieviele weitere Banken sind das ?
Fitrat: Vermutlich drei oder vier. Alle in Kabul.
Scherer: Korruption ist noch immer eines der Hauptprobleme in Afghanistan. Für wie glaubwürdig halten Sie Präsident Karsai?
Fitrat: Sehen Sie, ich konnte als Zentralbank-Gouverneur nicht einmal eine ordnungsgemäße forensische Prüfung durchführen lassen, obwohl ich laut Verfassung unabhängig war. Ich sage Ihnen, die Geberländer haben in Kabul keine verlässlichen Partner. Die Menschen verdienen Hilfe, und vielen wurde geholfen. Es gibt ehrbare Minister im Kabinett. Aber es gibt viele im Umfeld, die für sich und ihre Verwandten Millionen veruntreuen.
"Die Großen werden nicht belangt"
Scherer: Vor Tagen wurden zwei Offizielle der Kabul-Bank verhaftet. Spricht das nicht für den Präsidenten?
Fitrat: Wir hatten darauf schon vor zehn Monaten gedrängt. Warum es jetzt passierte, weiß ich nicht. Aber es sind die kleinsten Fische. Die Großen werden nicht belangt. Deshalb halte ich der Justiz dort vor, dass sie sehr selektiv arbeitet.
Scherer: Die Regierung wirft Ihnen nun Landesverrat vor und dass Sie selbst vor Ermittlungen geflohen seien. Auch macht die Regierung Sie mitverantwortlich für die Vorgänge in der Kabul-Bank.
Fitrat: Sobald wir Verdachtsmomente hatten, handelten wir. Wenn der Präsident auch nur eine belastende Unterschrift von mir findet oder eine der Zentralbank oder auch nur das Mitwissen der Zentralbank, bin ich bereit für meine eigene Exekution.
Das Gespräch führte Klaus Scherer, ARD-Studio Washington.