Frauen in blauen Burkas

"Tugendgesetz" in Afghanistan Wo singen ins Gefängnis führt

Stand: 07.09.2024 12:22 Uhr

Die in Afghanistan herrschenden Taliban schließen Frauen immer stärker aus dem öffentlichen Leben aus. Das neue "Tugendgesetz" verbietet ihnen zu singen und laut zu sprechen. Manche Vorschriften betreffen auch Männer.

"Ihr macht mich zu einer Gefangenen zu Hause, nur weil ich eine Frau bin", singt die junge Afghanin. Sie macht ihren Protest mit einem Video in den sozialen Medien öffentlich: Sie hat einen schwarzen Schleier über ihr Gesicht gezogen. Aus Angst, erkannt zu werden. Ihr Vergehen: Sie singt.

Denn mit dem neuesten "Tugendgesetz" schränken die Taliban die Rechte von Frauen noch mehr ein. In Anwesenheit fremder Männer müssen sie sich komplett verschleiern. In der Öffentlichkeit dürfen sie nicht mehr laut sprechen oder gar singen.

Gefängnis für Frauen, die singen

Die weibliche Stimme habe etwas Verführerisches, so die Taliban. Männer sollen demnach nicht in Versuchung gebracht werden. Selbst wenn Frauen zu Hause singen, und man sie draußen hört, drohen ihnen hohe Geldstrafen oder sogar Gefängnis.

Auch Seema lebt in ständiger Angst vor den Taliban. Durch die verschärften Verhaltensregeln jetzt noch mehr:

Seit die neuen Gesetze eingeführt wurden, hat sich unser Leben hier komplett verändert. Wir spüren es seelisch, körperlich und psychisch. Es hat sich einfach alles geändert. Ich habe Angst rauszugehen, obwohl ich schon voll verschleiert bin, nur weil ich keine Burka trage und keinen Mann an der Seite habe. 

Die 35-Jährige ist Mutter von vier Kindern. Sie unterrichtet ihre Töchter zu Hause, seit die Taliban verfügt haben, dass Mädchen nur noch bis zur sechsten Klasse in die Schule gehen dürfen. Der Zugang zu höherer Bildung ist Frauen verwehrt - und nur noch in wenigen Bereichen, wie etwa der Gesundheitsversorgung, dürfen sie arbeiten.

Nach draußen nur mit männlicher Begleitung

"Ich habe einen Bachelor und habe früher in einem Ministerium gearbeitet", berichtet Seema. Jetzt habe sie Angst vor dem Tag, an dem ihre Tochter selbst Mutter wird, aber nicht mal lesen und schreiben kann. "Das Gesetz ist radikal gegen Frauen."

Seemas Alltag spielt sich fast nur noch in ihren vier Wänden ab. Nach draußen darf sie nur mit männlicher Begleitung. Seit dem Erlass kontrolliert die Sittenpolizei des "Tugendministeriums" noch strenger. Das betrifft selbst Taxifahrer. Wenn sie unbegleitete Frauen mitnehmen, droht ihnen eine Geldstrafe. 

Die Vereinten Nationen sprechen von einer "Geschlechter-Apartheid" in Afghanistan. Frauen würden systematisch diskriminiert. Ravina Shamdasani vom UN-Menschenrechtsbüro in Genf:

Das neu verabschiedete Gesetz zementiert eine Politik, die Frauen im öffentlichen Leben komplett auslöscht, sie zum Schweigen bringt und ihnen ihre Selbständigkeit nimmt, indem man versucht, sie zu gesichtslosen, stummen Schatten zu machen. Das ist unerträglich!" 
Ravina Shamdasani, UN-Menschenrechtsbüro Genf

Kampfsportarten gelten den Taliban als unislamisch

Doch die neuen, strengen Verhaltensregeln der Taliban gelten auch für Männer. Arbeiten sie im öffentlichen Dienst, müssen sie einen Bart tragen. Und der darf nicht zu kurz sein. Auch kurze Hosen dürfen Männer nicht anziehen.

Und auch Kampfsportarten sehen die Taliban als unislamisch an. Das islamische Recht verbiete Schläge ins Gesicht. Dabei sind Judo oder Karate sehr beliebt bei jungen Afghanen.

Trainer Sayed muss sein Kampfsportstudio wegen des neuen Gesetzes jetzt schließen: "Sport ist doch neutral: Er gehört weder zur Politik noch zu irgendeiner Ideologie. Er soll doch nur der Gesundheit und dem Wohlbefinden dienen."

Die meisten afghanischen Athleten in diesem Bereich haben schon vor dem jüngsten Verbot ihr Heimatland verlassen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 07. September 2024 um 07:43 Uhr.