In vielen Ländern Südamerikas Diktatur-Verharmloser gewinnen an Boden
Folter, Mord, Verschwindenlassen von Personen - so schlimm war das doch gar nicht, meinen die Fans von Ex-Diktator Pinochet in Chile. Auch in anderen Ländern Südamerikas nimmt die Zahl der Diktatur-Verharmloser zu.
Vor dem Regierungspalast "La Moneda" in Santiago de Chile stehen Anfang September rund 200 Demonstranten. Mit wehenden Fahnen erinnern sie an den 11. September, also dem Tag, an dem sich vor 50 Jahren Diktator Augusto Pinochet an die Macht putschte. Für die Gruppe hier: ein Tag der Befreiung, ein Tag der Freude.
Sie halten Plakate hoch: "Pinochet, dein Erbe ist für die Ewigkeit" steht darauf. Oder: "Freiheit gegen Kommunismus". Angeführt wird die Demo von einem Mann, Anfang 40, im Militärhelm, Francisco Muñoz. Der wahre Diktator sei der 1970 demokratisch ins Amt gewählte Sozialist Salvador Allende gewesen, so jedenfalls sieht Muñoz das: „Chile wurde wirtschaftlich und politisch zerstört unter Allende. Und subversive Guerillagruppen haben weiter operiert. Wenn wir von Versöhnung sprechen wollen, dann müssen wir verstehen, dass es nicht nur eine Sicht auf die Dinge gibt. Es ist nicht so, dass hier nur auf einer Seite getötet wurde, hier gab es einen Krieg."
Zahl der "Pinochetistas" hat sich verdoppelt
"Team Patriota" nennt sich Muñoz ultrarechte Gruppierung, die derzeit am lautesten artikuliert, was weit mehr in Chile denken: Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Mori hat sich die Anzahl der "Pinochetistas", also der Bewunderer von Diktator Pinochet, in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt - von 18 auf 36 Prozent. Die Folter, das Verschwindenlassen von Personen, der Mord an Tausenden Menschen wird als notwendiges Übel heruntergespielt. Die Diktatur als Zeit wirtschaftlichen Aufschwungs verklärt.
Auch, weil sich in den vergangenen Jahren viel Frust aufgestaut habe, glaubt Marta Lagos, die das Forschungsinstitut Mori leitet. Die Politik habe kaum Lösungen für dringende Probleme wie die krasse soziale Ungleichheit und die Privilegien-Wirtschaft gefunden. Selbst der linke Staatspräsident Gabriel Boric, einst Hoffnungsträger für einen Wandel, der außerdem die Menschenrechtspolitik vorantrieb, hat - nach Skandalen und Missmanagement in seiner Regierung - viele enttäuscht. "Die Parteien haben keine Legitimität mehr. Die Leute sehen die Parteien als "Delinquentes" - als Kriminelle. Die Leute heute denken, ach, wenn wir jemanden hätten mit einer harten Hand, der Ordnung und Sicherheit schaffen könnte, das wäre toll. Das hatte Pinochet, also möchten wir einen Pinochet haben", erklärt Lagos.
Trend quer über den Kontinent
Dass Negationismus inzwischen Teil des politischen Geschäfts ist, zeigt sich nicht nur in Chile: In Brasilien regierte mit Jair Bolsonaro vier Jahre lang ein dezidierter Bewunderer der Militärs - nach seiner Wahlniederlage stürmten seine Anhänger im Januar 2023 das Regierungsviertel, um eine kommunistische Diktatur zu verhindern.
Und selbst in Argentinien, das in der ganzen Region als Vorbild für die Aufarbeitung der Diktaturverbrechen gilt, könnte im Oktober mit Javier Milei ein Mann zum Präsidenten gewählt werden, dessen ultrarechte Vizekandidatin demonstrativ die Erinnerungspolitik in Frage stellt, ordnet der Sozialwissenschaftler Pablo Stefanoni ein: "In Argentinien ist mit dem Libertären Javier Milei erstmals eine alternative neue Rechte aufgetaucht, die sich vor allem aus dem allgemeinen Frust über die wirtschaftliche Situation und die Regierung speist. Eine Regierung, zu deren Aushängeschild stets die Menschenrechtspolitik gehörte. Ich denke, da mischt sich nun einiges. Ich glaube, dieser Negationismus ist für Milei, genau wie die Verleugnung des Klimawandels, eine Requisite, um seine rechte Front aufzubauen."
Präsidentschaftskandidat Javier Milei bei einer Wahlkampfveranstaltung in La Plata/Argentinien.
Kein Bruch nach Ende der Diktatur
Anders als in Argentinien gab es in Brasilien und Chile strukturell keinen wirklichen Bruch nach dem Ende der Diktatur. In Chile gilt nach wie vor die Verfassung von 1980, die noch unter Pinochet erlassen wurde und einstigen Eliten in der Transition weitgehend die Macht beließ. Eine der Forderungen der sozialen Proteste von 2019 war, diese endlich abzuschaffen.
"Wir haben Einfluss in den sozialen Medien"
Doch ein erster Entwurf für einen neuen Gesellschaftsvertrag scheiterte im Oktober 2022 in einer Volksabstimmung - Anführer der "Rechazo"-Kampagne, des "Nein", war damals der ultrarechte Influencer Francisco Muñoz. "Wir haben großen Einfluss in den sozialen Medien, vielleicht nicht groß genug, um Wahlen zu gewinnen, aber zumindest, um Dinge zu verhindern, die unser Vaterland verraten", so Muñoz.
Im Verfassungsrat, der den zweiten Entwurf einer neuen "Carta Magna", also einer Verfassung, ausarbeitet, hat inzwischen die Rechte die Mehrheit. Allen voran die Republikaner unter José Antonio Kast, ein Bewunderer Pinochets, Bolsonaros und Trumps, dem beste Aussichten bei den Präsidentschaftswahlen 2024 vorausgesagt werden.