Selenskyj und Lawrow Schlagabtausch im UN-Sicherheitsrat
Im UN-Sicherheitsrat haben sich Russlands Außenminister Lawrow und der ukrainische Präsident Selenskyj ein vielbeachtetes Fernduell geliefert. Auch Bundeskanzler Scholz sprach vor dem Gremium.
Russlands Außenminister lässt sich demonstrativ Zeit. Als Sergej Lawrow mit augenscheinlich gleichgültigem Blick die Bühne betritt, läuft die Sitzung im Sicherheitsrat bereits seit zwei Stunden.
Als er dann mechanisch seinen Redezettel herunterrattert - der Westen habe einen "Überlegenheitskomplex", berufe sich von Fall zu Fall und "ausschließlich auf der Grundlage seiner engstirnigen geopolitischen Bedürfnisse" auf Normen -, da hat sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj schon verabschiedet.
Und dennoch beginnt die mit Spannung erwartete Sitzung mit einem Schlagabtausch: Russlands UN-Botschafter Wassili Nebensja moniert, dass Selenskyj zuerst reden soll, um die Sitzung in eine "Ein-Mann-Stand-up-Show" zu verwandeln. Sie sei nur ein Spektakel.
Selenskyj wirft Russland Völkermord vor
Sichtlich genießt Selenskyj den großen Rückhalt im Saal. US-Außenminister Antony Blinken ist dort. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz. Mit abschätzigem Blick in Richtung Moskaus Gesandtem wirft Selenskyj Russland einen "verbrecherischen" Angriff auf sein Land vor - und einen "Völkermord".
"Der Großteil der Welt erkennt die Wahrheit über diesen Krieg an."
Selenskyj spricht sich erneut dafür aus, Russland sein Vetorecht im Sicherheitsrat abzuerkennen. Wohl wissend, dass das nach derzeitigen Statuten unmöglich ist. Doch wie viele Redner in der UN-Generaldebatte diese Woche forderte Selenskyj auch eine Reform der Vereinten Nationen. Vor allem: eine Erweiterung des Sicherheitsrats.
Und: "Wir müssen die Veränderungen in Europa berücksichtigen, insbesondere die Tatsache, dass Deutschland zu einem der wichtigsten globalen Garanten für Frieden und Sicherheit geworden ist", so Selenskyj. "Das ist eine Tatsache. Es ist auch eine Tatsache, dass Deutschland einen Platz unter den ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates verdient hat."
Scholz wiederholt Vorwürfe an Russland
Als Scholz dann als letzter Redner in der rund dreistündigen Sitzung antritt, da sind Selenskyj und Lawrow nicht mehr da. Scholz wirft Russland vor, dem Weltmarkt bewusst Millionen Tonnen Getreide und Düngemittel entzogen zu haben, die von Ländern auf der ganzen Welt benötigt würden. Russland habe einseitig die Schwarzmeer-Getreideinitiative aufgekündigt und so die Armut und Ernährungsunsicherheit überall auf der Welt verschärft. Dafür gebe es keine Rechtfertigung.
Alle Behauptungen, dass russische Exporte von landwirtschaftlichen Erzeugnissen und Düngemitteln durch Sanktionen behindert würden, seien falsch, so Scholz: "Es gibt keine Sanktionen, die solche Exporte behindern." Im Gegenteil: Russland dominiere den Düngemittelweltmarkt, und 2022 sei für russische Weizenexporte ein Rekordjahr gewesen.
Scholz warnt erneut vor "scheinbar einfachen Lösungen"
Der Bundeskanzler fordert in seiner Rede einen umfassenden Frieden für die Ukraine auf Grundlage der UN-Charta. Doch wie schon am Vortag machte er auch klar, man müsse sich "vor scheinbar einfachen Lösungen hüten, die Frieden nur dem Namen nach versprechen. Frieden ohne Freiheit ist Unterdrückung. Frieden ohne Gerechtigkeit ist ein Diktat."
Im Anschluss an die Sitzung trifft Scholz Selenskyj zu einem Gespräch - der Ukrainer bedankt sich laut Regierungssprecher Steffen Hebestreit für die anhaltende deutsche Hilfe. Ob es auch um "Taurus"-Marschflugkörper geht, die sich Kiew von Berlin wünscht, bleibt unklar. Scholz tut sich mit einer solchen Lieferung schwer: Er hat wiederholt klargemacht, dass es in dieser Sache keinen Alleingang gegen die USA geben könne.
Heute ist Selenskyj auch deswegen im Weißen Haus. Die US-Regierung hält nach Angaben aus dem Weißen Haus eine Lieferung weitreichender Marschflugkörper an die Ukraine für möglich. US-Medien wie das "Wall Street Journal" gehen davon aus, dass die Entscheidung schnell kommt.