Frauen  laufen auf einer Straße im Iran.
reportage

Frauen im Iran "Ich hab keine Angst"

Stand: 18.07.2023 12:14 Uhr

Im Iran sind immer mehr Frauen ohne Kopftuch unterwegs - vor allem junge Menschen wollen ihren modernen Lebensstil nicht länger verstecken. Doch nun soll die gefürchtete Sittenpolizei zurück sein.

Es ist ein heißer Sommerabend in Teheran. In einem Park im Norden der Stadt spielen Straßenmusiker, Männer und Frauen tanzen. Andere sitzen in T-Shirt, Shorts und kurzen Röcken am Boden und klatschen im Takt - vor zehn Monaten ist diese Szene im Iran undenkbar. Zusammen tanzen in der Öffentlichkeit zu solcher Live-Musik, Frauen in Kleidung, die nicht die Hüften, Beine und Arme ganz bedeckt und dazu noch viele ohne Kopftuch. Das erlaubt das Regime seinen Bürgern seit Jahrzehnten nicht.

Aber jetzt machen sie es einfach, auch Parivash. Sie studiert in den USA und ist auf Heimaturlaub. "Das ist der erste Sommer, in dem ich heimkomme und alle sind happy ohne Kopftuch", sagt die 31-Jährige. Die Mädchen seien schön und würden die Stadt schöner machen. "Ich hab auch keine Angst."

Ihre Mutter Nargez ist mitgekommen in den Park, scheint die ausgelassene Stimmung auch zu genießen. Sie trägt das Kopftuch, sogar tief ins Gesicht gezogen. Und sie macht sich Sorgen: Was, wenn die Sittenpolizei kommt? Parivash hat ein Tuch um den Hals geschlungen. "Ich habe gehört, wenn ich das nicht um den Hals habe, kann's Probleme geben. Das soll mich also schützen", sagt sie. So komme man wohl davon.

"Ohne Kopftuch würde ich mich nicht wohlfühlen"

Viele haben davon gehört, dass die Sittenpolizei wieder auf den Straßen im Land unterwegs sein soll. Früher - vor den Protesten - war sie gefürchtet. Jetzt bringt das auch die 63-jährige Azam nicht dazu, Kopftuch zu tragen. "Meine Kinder haben mir gesagt, die Sittenpolizei ist am Tadschrisch-Platz, ich hab sie aber nicht selber gesehen", erzählt sie. "Mich hat heute nur ein normaler Polizist ermahnt, dass ich mein Kopftuch tragen soll. Ich hab das ignoriert."

Ein paar Straßen weiter ist auch Jaldah noch unterwegs an diesem warmen Sommerabend. Die 18-Jährige hat ihr dunkelrotes Kopftuch eng ums Gesicht geschlungen und will auch gar nicht ohne sein. "Weil ich das Kopftuch seit meiner Kindheit trage, niemand hat mich dazu gezwungen. Ich hab mich dafür entschieden und ich habe mich daran gewöhnt", sagt sie. "Ohne würde ich mich nicht wohlfühlen. Meine Familie ist religiös, aber sie haben mich das selbst entscheiden lassen."

Manche ihrer Freundinnen hätten sich anders entschieden und seien jetzt ohne Kopftuch unterwegs. Für die Studentin ändert das nichts an ihrer Freundschaft, meint Jaldah. Auch sie hat davon gehört, dass es jetzt wieder Patrouillen der Sittenpolizei geben soll: "Meiner Meinung nach ist das absurd." Das müsse jeder für sich selbst entscheiden dürfen, da sollte sich niemand einmischen.

Jugend zeigt Lebensstil demonstrativ

Eine ältere Frau will sich zu dem Thema nicht äußern. Nur so viel: Sie liebe das Kopftuch, weil sie bete und Muslimin sei, meint sie kurz im Vorbeigehen. Sie trägt einen langen weiten Mantel, unter ihrem Kopftuch ist kein Haar zu sehen. Auch Frauen in solcher Kleidung gehören noch zum Straßenbild im Iran. Aber in manchen Stadtvierteln von Teheran sind inzwischen deutlich mehr Frauen ohne als mit Kopftuch zu sehen. Ihre Blusen und T-Shirts bedecken oft nicht mehr die Oberschenkel und teils noch nicht mal mehr die Hüften. Auch auf dem Land wollen sich vor allem immer weniger junge Frauen den Kleidervorschriften beugen.

Studentin Parivash sagt: "Ich hoffe, dass die Zeiten nicht mehr zurückkommen. Ich wünsche mir, dass man uns nicht mehr dazu zwingt, das Kopftuch zu tragen." Das könne man nicht mehr zurückdrehen.

Seit mehreren Wochen gibt es im Iran keine Demonstrationen gegen das Regime mehr, keine Rufe von Balkonen. Aber vor allem junge Menschen verstecken ihren modernen Lebensstil nicht mehr länger - im Gegenteil, sie zeigen ihn demonstrativ - das ist ihre neue Form des Protests. Und gleichzeitig genießen sie ein bisschen, was sie sich in den vergangenen Monaten in den Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften erkämpft haben: den ersten Sommer mit Sonne im Haar und Musik auf den Straßen.

Karin Senz, ARD Istanbul zzt. Teheran, tagesschau, 18.07.2023 09:02 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk Kultur am 17. Juli 2023 um 17:50 Uhr.