Krieg im Gazastreifen Was über das Al-Schifa-Krankenhaus bekannt ist
Rund um das Al-Schifa-Krankenhaus im Gazastreifen toben heftige Kämpfe. Israel vermutet unter der Anlage die Kommandozentrale der Hamas, die Terrororganisation widerspricht. Was ist über die Klinik und die aktuelle Lage bekannt? Ein Überblick.
Wie groß ist das Al-Schifa-Krankenhaus?
Die Klinik ist die größte im Gazastreifen und verfügt über 500-700 Betten, eine Intensivstation und ist für MRT-Scans und Dialysebehandlungen ausgestattet. Nach Angaben des von der militant-islamistischen Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums fanden vor Kriegsbeginn im Al-Schifa-Krankenhaus etwa die Hälfte aller Operationen in Gaza statt.
Wie viele Menschen sind noch in der Klinik?
Nach Ausbruch des Krieges suchten Zehntausende Menschen auf dem Krankenhausgelände Schutz. Die meisten sind mittlerweile in den Süden des abgeriegelten Gazastreifens geflohen. Mehr als 2.000 Menschen sollen sich jedoch weiterhin in der Klinik aufhalten. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO sind unter ihnen zwischen 600 und 650 Patienten, rund 1.500 Schutzsuchende sowie zwischen 200 und 500 Mitarbeiter der Klinik. Diese Angaben beruhen auf Schätzungen des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums.
Warum ist das Krankenhaus so umkämpft?
Die israelische Armee behauptet, die Kommandozentrale der Terrororganisation Hamas befinde sich unter dem Al-Schifa-Krankenhaus. Einige der unterirdischen Bunker seien direkt vom Krankenhaus aus zugänglich. Hunderte Hamas-Terroristen hätten nach dem Angriff vom 7. Oktober, bei dem mindestens 1.200 Menschen in Israel getötet wurden, im Al-Schifa Zuflucht gesucht. Israel beruft sich auf Geheimdienstinformationen. Satellitenaufnahmen sowie eine Audioaufnahme sollen die Existenz des Hamas-Lagers dokumentieren. Unabhängig überprüfen lassen sich diese Angaben nicht. Die Hamas sowie das Krankenhauspersonal weisen die Anschuldigungen zurück.
Was genau soll unter der Erde versteckt sein?
Nach Darstellung Israels soll die Al-Schifa-Klinik an das kilometerlange unterirdische Tunnelnetz der Hamas angeschlossen sein. Mehrere Eingänge sollen sich auch innerhalb der Klinik befinden. Ein früherer Mitarbeiter des israelischen Geheimdienstes sagte der "New York Times", dass sich in den Räumen unter der Klinik Hunderte Menschen verstecken könnten. Ihm zufolge geht Israel davon aus, dass auf mehreren Etagen unter der Erde Besprechungsräume, Wohnräume sowie Lagerräume gebaut wurden. Umfassende Beweise dafür legte das Militär nicht vor.
Wie geht es den Menschen im Krankenhaus aktuell?
Am Samstag gab das Krankenhaus bekannt, dass der letzte verbliebene Generator keinen Treibstoff mehr habe. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums sind seitdem mehr als 30 Patienten, darunter mindestens drei Säuglinge, gestorben. Dutzende weitere Neugeborene seien vom Tod bedroht, weil lebensnotwendige Geräte nicht funktionierten, hieß es.
Wie die WHO am Dienstag mitteilte, ist die Klinik nicht komplett außer Betrieb. Trotz Stromausfalls und Angriffen versuche das Personal im Krankenhaus alles in seiner Macht Stehende, um die verbliebenen schwer kranken Patientinnen und Patienten zu versorgen, sagte Sprecherin Margaret Harris.
Wie Christian Lindmeier, ebenfalls Sprecher der WHO, im Interview auf NDR Info erklärte, spitzte sich die hygienische Lage für die im Krankenhaus ausharrenden Menschen zuletzt dadurch zu, dass die Leichen von Verstorbenen zu verwesen anfingen. Die Menschen hätten sich aber nicht heraus getraut, um die Leichen zu beerdigen oder den medizinischen Abfall zu entsorgen. Der Leiter der Klinik, Mohammed Abu Salmija, teilte mit, man habe 179 Tote in einem Massengrab auf dem Klinikgelände beigesetzt.
Was unternimmt Israel angesichts der Notlage?
Israels Militär teilte mit, man habe dem Al-Schifa-Krankenhaus eine Lieferung Brutkästen für frühgeborene Babys angeboten. Dies sei eine Möglichkeit, die Säuglinge aus dem Krankenhaus zu retten. "Wir sind im Krieg mit der Hamas und nicht mit der Bevölkerung von Gaza", sagte eine Armee-Sprecherin. Auf Fotos ist zu sehen, wie eine israelische Soldatin Brutkästen in einen Transporter lädt. Zusätzlich sollten Beatmungsgeräte und weitere wichtige medizinische Geräte geliefert werden.
Zudem gab das Militär an, am Sonntag etwa 300 Liter Treibstoff in Plastikbehältern mehrere hundert Meter von der Einrichtung entfernt deponiert zu haben. Doch am Montag war der Treibstoff offenbar noch nicht verwendet worden. Israel beschuldigte die Hamas, das medizinische Personal daran zu hindern, die Behälter abzuholen.
Krankenhausvertreter erklärten hingegen, es sei zu gefährlich, das Krankenhaus zu verlassen, da israelische Soldaten in unmittelbarer Nähe Stellung bezogen hätten und sich Gefechte mit Hamas-Terroristen lieferten. Sie forderten, dass der Treibstoff vom Palästinensischen Roten Halbmond geliefert werden solle. Die Treibstoffmenge sei allerdings in jedem Fall unzureichend. Wie Christian Lindmeier von der WHO im NDR-Interview erklärte, braucht das Al-Schifa für seine Arbeit 17.000 Liter Treibstoff am Tag. Vor diesem Hintergrund nannte er die 300 von Israel bereitgestellten Liter "fast schon zynisch". Nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums liegt der tägliche Bedarf des Krankenhauses bei 8.000 bis 10.000 Litern.
Was sagt die Hamas zu der Treibstofflieferung?
Die Hamas wies die jüngsten Vorwürfe zurück, die Treibstofflieferung für das Al-Schifa-Krankenhaus abgelehnt zu haben. Zudem kritisierten die militanten Islamisten das Angebot ebenfalls als nicht ausreichend. Es verharmlose den Schmerz und das Leid der Patienten, die in der Klinik ohne Wasser, Essen und Strom festsäßen.
Zugleich erklärte die Hamas, in keiner Weise mit der Leitung des Al-Schifa-Krankenhauses verbunden und auch nicht Teil der Entscheidungsstrukturen zu sein. Die Klinik unterstehe "vollständig der Autorität des palästinensischen Gesundheitsministeriums".
Warum sind Treibstofflieferungen so umstritten?
Israels Militär wirft der Hamas vor, etwa eine Million Liter Treibstoff zu bunkern, um damit etwa die Stromgeneratoren in den Tunneln oder Abschussvorrichtungen für Raketen zu betreiben. Israels Premierminister Benjamin Netanyahu hatte größere Lieferungen in den Gazastreifen bislang mit dem Argument abgelehnt, die Hamas würde den Treibstoff für terroristische Zwecke beanspruchen.
Darf Israel das Krankenhaus angreifen?
Nach internationalem Recht stehen Krankenhäuser im Krieg unter einem besonderen Schutz. Laut Internationalem Komitee vom Roten Kreuz können sie diesen Schutzstatus aber verlieren, wenn Kriegsparteien sie als Versteck für Kämpfer oder als Waffenlager nutzen. Dennoch muss es vor Angriffen eine ausreichende Vorwarnzeit geben, damit Personal und Patienten evakuiert werden können.
Am Montagabend präsentierte Israels Militärsprecher Daniel Hagari Aufnahmen eines Waffenlagers der Hamas, das im Keller des Kinderkrankenhauses Rantisi gefunden worden sei. Die Bilder zeigten einen Raum, in dem Waffen auf dem Boden lagen. Es handele sich um Sprengstoffwesten, automatische Gewehre, Bomben und Panzerfäuste, so Hagari. "Die Hamas benutzt Krankenhäuser als Kriegsinstrument", sagte er. Ein Bereich sei offenbar genutzt worden, um dort Geiseln zu halten.
Wie kann es für die Menschen in der Klinik weitergehen?
Israel hat den Menschen im Al-Schifa-Krankenhaus zugesichert, sie könnten die Stadt sicher verlassen. Zivilisten, die das versuchten, schilderten jedoch, sie seien beschossen worden. US-Präsident Joe Biden sagte am Montag, dass das Krankenhaus geschützt werden müsse und forderte ein "weniger aggressives Vorgehen" der israelischen Streitkräfte. Israels Armee erklärte, man sei sich der Komplexität der Lage bewusst, die Hamas dürfe aber nicht mit Immunität rechnen.
Wie steht es um die anderen Kliniken im Gazastreifen?
Die Lage im Gazastreifen ist unübersichtlich. Gesicherte Informationen zum Zustand der einzelnen Einrichtungen gibt es nicht. Auch nach Schäden - etwa durch Raketeneinschläge wie im Fall des Al-Ahli-Krankenhauses am 17. Oktober - kann die Versorgung von Kranken unter Umständen weitergehen. Seit Wochen rufen jedoch unter anderem medizinisches Personal und internationale Hilfsorganisationen zu Treibstofflieferungen auf, da sonst die Generatoren, die die Kliniken mit Strom versorgen, ausfallen.
Nach jüngsten Angaben und der WHO sind inzwischen mindestens die Hälfte der Krankenhäuser im Gazastreifen nicht funktionsfähig. Die Nachrichtenagentur AFP zitierte am Montag aus dem Interview mit dem stellvertretenden Gesundheitsminister der Hamas-Regierung, Jussef Abu Risch, wonach im Norden des Gazastreifens "alle Krankenhäuser außer Betrieb" seien.
Am Sonntag hatte das Al-Kuds-Krankenhaus in Gaza-Stadt wegen Treibstoffmangels den Betrieb einstellen müssen. Der Palästinensische Rote Halbmond gab an, die Evakuierung von etwa 6.000 Patienten, medizinischem Personal und Vertriebenen vorzubereiten. Ein weiterer Vertreter der Hamas-Behörden erklärte zudem, die "erzwungene Evakuierung der Kinderkrankenhäuser Al-Nasr und Al-Rantisi" habe dazu geführt, dass "die Kranken ohne Behandlung auf der Straße sind". Diese Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen.
Quellen: AP, dpa, Reuters, AFP