Zerstörte Autos in unmittelbarer Nähe des Al-Ahli-Krankenhauses in Gaza-Stadt.
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Explosion in Krankenhaus Was für die Version der israelischen Armee spricht

Stand: 26.10.2023 20:52 Uhr

Wer ist verantwortlich für die Explosion in einem Krankenhaus in Gaza? OSINT-Recherchen legen nahe, dass Israels Version stimmen könnte. Dafür wurden Aufnahmen und Videos ausgewertet.

Von Pascal Siggelkow, ARD-faktenfinder

"Ein misslungener Raketenabschuss der Terrororganisation Islamischer Dschihad traf das Al-Ahli-Krankenhaus in Gaza-Stadt", schreibt der Account der israelischen Armee (IDF) beim Kurzmitteilungsdienst X (früher Twitter) nach der Explosion im Al-Ahli-Krankenhaus im Gazastreifen. Dazu teilte die IDF ein Video, das die Version beweisen soll. Auch mehrere westliche Geheimdienste stützen die Version einer fehlgeleiteten Rakete.

Sogenannte OSINT-Experten, die mit öffentlich zugänglichen Quellen (Open Source Intelligence) wie Bildmaterial aus sozialen Netzwerken oder Online-Kartendiensten arbeiten, haben daraufhin versucht, die von der IDF angeführten Beweise zu verifizieren. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass die Version der israelischen Armee sehr wahrscheinlich ist.

Pascal Siggelkow, ARD-Faktenfinder, zur Explosion vor Krankenhaus in Gaza

tagesschau24, 18.10.2023 14:00 Uhr

Videos deuten auf palästinensische Rakete hin

Es gibt mehrere Aufnahmen von gestern Nacht, die einen massiven Raketenbeschuss aus dem Norden des Gazastreifens in Richtung Israel zeigen. Auf einem Video ist zu sehen, wie kurze Zeit nach der Raketensalve eine große Explosion stattfindet. Ob es sich dabei um eine fehlgeleitete Rakete von militanten Palästinensern handelt, wie die IDF behauptet, lässt sich dadurch allerdings nicht zweifelsfrei belegen.

In einem weiteren Video ist jedoch der vermeintliche Raketeneinschlag besser zu sehen, zudem wird hier auch der Ort deutlicher. Die Rakete, die zu der Explosion im Krankenhaus geführt haben könnte, scheint dabei zunächst in der Luft zu explodieren, kurze Zeit später sind zwei Explosionen am Boden zu sehen. Eine kleinere etwas weiter entfernt vom Krankenhaus, eine größere dann in unmittelbarer Nähe.

Bestimmen lässt sich das anhand der auffälligen Solaranlage des Gebäudes, das sich neben dem Al-Ahli-Krankenhaus befindet. Es ist durch die hell leuchtenden Flammen gut zu erkennen und deckt sich mit Bildern von Online-Kartendiensten.

Was mit der Rakete in der Luft passiert ist, lässt sich anhand der Bilder nicht eindeutig bestimmen. Der dänische OSINT-Experte Oliver Alexander schreibt auf X, dass der Raketenmotor versagt haben könnte. Daraufhin könnte die Rakete in zwei Teile zerbrochen sein. Der Raketenmotor könnte dann die kleinere Explosion verursacht haben, der Sprengkopf die größere am Krankenhaus. Andere halten es auch für möglich, dass die Rakete abgefangen wurde.

Nach Recherchen der "New York Times" handelt es sich in dem Video jedoch nicht um die Rakete, die die Explosion am Krankenhaus verursacht hat. Demnach sei die Explosion, die in dem Video zu sehen ist, etwa zwei Meilen (3,2 Kilometer) von der Klinik entfernt passiert.

Explosion offenbar auf dem Parkplatz

Die israelische Armee veröffentlichte in ihrem Video zudem Luftaufnahmen von dem Krankenhaus zwei Tage vor der Explosion und unmittelbar danach. Dort ist zu sehen, dass offenbar vor allem der Parkplatz des Krankenhauses Spuren einer Explosion zeigt. Mehrere Autos auf dem Gelände wirken stark beschädigt.

Auch das deckt sich mit Bildern und Videos, die von dem Krankenhaus nach der Explosion in sozialen Netzwerken kursieren. In mehreren Videos ist der Parkplatz zu sehen, auf dem Autos zum Teil komplett ausgebrannt sind. Ein Auto wurde aufgrund der Explosion offenbar auf das Dach gedreht.

Es sei kein typischer Krater zu sehen, wie er sonst bei israelischen Luftangriffen entstehe, teilte die IDF in ihrem Video mit. Diese Darstellung stimmt mit den Bildern ebenfalls überein, ein größerer Krater ist in keinem der Videos aus den sozialen Netzwerken zu erkennen. Lediglich an einer Stelle ist der Boden deutlich dunkler und weist Schäden auf. Der zu sehende Krater ist jedoch ziemlich klein. Ob das infolge der Explosion passierte, lässt sich jedoch nicht eindeutig verifizieren.

Mehrere Waffenexperten sagten der BBC, dass der Krater viel kleiner sei als die Schäden, die normalerweise durch die Art von Präzisionsmunition verursacht werden, die Israel häufig einsetze. Auch eine Munition, die in der Luft explodiert - sogenannte Air Bust-Munition - schließen sie anhand der zur Verfügung stehenden Bilder aus.

Waffenfragmente, die Hinweise auf die Art und Herkunft der Waffe geben könnte, sind in den Videos und Bildern nicht zu sehen. Der ehemalige UN-Kriegsverbrechensermittler Marc Garlasco schrieb dazu auf X: "In 20 Jahren der Untersuchung von Kriegsverbrechen ist dies das erste Mal, dass ich keine Waffenreste gesehen habe. Und ich habe in drei Kriegen in Gaza gearbeitet."

Israelische Armee veröffentlicht Audiomitschnitt

Die israelische Armee hat inzwischen zudem den Mitschnitt eines Gesprächs zwischen mutmaßlichen Hamas-Terroristen über den nach israelischen Angaben fehlgeschlagenen Raketenangriff der militanten Palästinenserorganisation Islamischer Dschihad mit Untertiteln veröffentlicht.

Darin fragt ein mutmaßlicher Hamas-Terrorist den anderen über die Herkunft der Rakete: "Ist sie von uns?", der andere antwortet: "Es sieht ganz danach aus." Weiter sagt er: "Sie sagen, dass es sich bei den Splittern der Rakete um unsrige und nicht die israelische handelt." Ob das Audiomaterial tatsächlich zwischen Hamas-Terroristen stattgefunden hat, lässt sich zurzeit nicht verifizieren.

Zweifel an Version der Hamas

Insgesamt sind aufgrund der bislang vorhandenen Bilder und Videos Zweifel an der Version der militant-islamistischen Hamas angebracht, die kurz nach der Explosion eine israelische Rakete für den Angriff verantwortlich machte und von etwa 500 Todesopfern sprach. Bereits kurze Zeit später hatte es daraufhin in mehreren Städten weltweit pro-palästinensische Kundgebungen gegeben.

Es gab innerhalb kurzer Zeit zudem mehrere Falschmeldungen im Zusammenhang mit der Explosion. So wurde ein Screenshot eines Facebook-Beitrags des vermeintlichen IDF-Kanals auf Arabisch geteilt, in dem die IDF angeblich geschrieben hatte, dass beschlossen wurde, das Krankenhaus zu bombardieren. Die Facebook-Seite wird jedoch nicht von der IDF betrieben.

Auch ein gefälschtes Zitat aus dem "Wall Street Journal" wurde verbreitet, in dem fälschlicherweise behauptet wurde, dass die Explosion im Krankenhaus von einer Bombe aus US-amerikanischer Produktion verursacht wurde.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 18. Oktober 2023 um 14:00 Uhr.