Blick auf Slums vor modernen Hochhäusern in Mumbai.
weltspiegel

Indien Die Superreichen und die Angst in den Slums

Stand: 02.12.2024 14:38 Uhr

Indiens Superreiche sind im Immobilienrausch - im Rekordtempo ziehen sie Wolkenkratzer und Wohnhäuser hoch. Verdrängt werden dadurch die Menschen in den Slums, die den Versprechungen auf bezahlbaren Wohnraum nicht glauben.

Ein Neubaugebiet am Rand von Mumbai: Multimilliardär Gautam Singhania schaut aus einem seiner gerade fertiggestellten Hochhäuser hinunter auf die Slums und sagt: "Das wird alles abgerissen." Auf die Frage, was mit den Menschen passiert, antwortet er trocken: "Die werden umgesiedelt" - und unterstreicht das mit einer kurzen Wischbewegung seiner Hand.

Indiens Großinvestoren und Multimilliardäre sind im Immobilienrausch. Gautam Singhania ist der Besitzer und Direktor der Raymond-Gruppe, ein hundertjähriger Familienkonzern, der mit Kleidung und Stoffen groß und reich geworden ist.

Das neue Geschäftsfeld Immobilien hat Singhania erst vor ein paar Jahren für sich entdeckt - gegen Widerstand im Aufsichtsrat. Das Kleidungsunternehmen hatte keinerlei Erfahrung im Immobiliengeschäft. Aber gerade das hat den Unternehmer gereizt. Mit Erfolg.

Gautam Singhania

Gautam Singhania hat in Rekordzeit mehrere Hochhäuser in Mumbai bauen lassen. Immobilien sind angesichts einer wachsenden Mittelschicht in Indien ein höchst profitables Geschäft.

Arme an den Rand der Stadt gedrängt

Auf dem weitläufigen Firmengelände am Rand von Mumbai hat er in kurzer Zeit mehrere Hochhausprojekte umgesetzt. Ein Großteil der in Rekordzeit fertiggestellten 5.000 Wohnungen seien schon verkauft, so Singhania. Sie kosten zwischen 100.000 und 400.000 Euro.

Angesichts der fortschreitenden Urbanisierung und einer wachsenden Mittelschicht sind Immobilieninvestitionen ein profitables Geschäft in Indien. Aber das führt auch zu einem Verdrängungswettbewerb, der vor allem die Armen in Mumbai immer weiter an den Rand der Stadt und an den Rand der Existenz bringt.

Gautam Singhania, der als junger Mann davon geträumt hatte, Formel-Eins-Rennfahrer zu werden, sammelt heute edle Sportwagen und lebt in einem 36-stöckigen Wolkenkratzer mit Blick auf das Arabische Meer. Er gehört zur Geldelite der Finanz- und Filmmetropole Mumbai.

Blick in die Wohnung von Familie Jogu.

Familie Jogu befürchtet, nach einer Umsiedlung nicht mehr nach Dharavi zurückkehren zu können.

Mumbai - die meisten Milliardäre, der größte Slum Asiens

Die Stadt hat die höchste Milliardärsdichte Indiens, und sie hat damit Peking als reichste Stadt Asiens abgelöst. Die Zahl der Milliardäre hat sich in den letzten zehn Jahren in Indien verdreifacht.

In Mumbai, dem ehemaligen Bombay, wird jede Baulücke genutzt, alte Häuser werden abgerissen und an ihrer Stelle Wolkenkratzer hochgezogen. Dabei nehmen die Investoren vor allem Dharavi, den größten Slum Asiens, ins Visier.

Denn Dharavi, das übersetzt so viel wie "lose Erde" heißt und in einem trockengelegten, ehemaligen Sumpfgebiet entstanden ist, liegt mitten in der Stadt. Wer in Mumbai mit dem Flugzeug landet, dem erscheinen die Wellblechdächer zum Greifen nah. Das Armenviertel reicht bis kurz vor die Landebahn.

Seit Jahren gibt es Pläne, das Armenviertel "aufzupolieren". In einem Bieterverfahren hat sich die Adani-Gruppe, die Indiens reichstem Mann, Gautam Adani gehört, durchgesetzt. Für neue Luxus- und Sozialwohnungen sollen die Menschen umgesiedelt werden. Alle könnten dann zurückkommen, heißt es offiziell. Aber viele Bewohner des Armenviertels trauen diesem Angebot nicht. Sie wollen Dharavi nicht verlassen.

Dharavi bietet vielen Armen eine Heimat

"In Dharavi lässt es sich sehr gut leben. Alles ist in der Nähe. Die Schule, der Bahnhof - man braucht nicht viel Geld, um irgendwo hinzukommen. Und die Lebenshaltungskosten sind sehr niedrig. Ich lebe gern hier", sagt Geeta Sailu Jogu.

Seit vier Generationen lebt Familie Jogu in Dharavi. Der Weg zu ihrer kleinen, circa 19 Quadratmeter großen Wohnung führt durch eine knapp einen Meter breite Gasse. Durch sie zieht sich ein schmaler Abwasserkanal, in dem sich die Ratten tummeln.

Über eine schmale Eisenleiter geht es hinauf in die kleine Wohnung. Mutter Geeta und Vater Sailu teilen sich mit zwei erwachsenen Kindern und dem jüngsten Sohn zwei Räume. Die älteren Geschwister schlafen auf dem Boden in der Küche, die Eltern mit dem 14-Jährigen im Wohnzimmer. Die geplante Umsiedlung bereitet der Familie große Sorgen.

"Keine Garantie, dass wir zurückkehren können"

"Wir wollen, dass sich die bauliche Situation in Dharavi verbessert. Wir wollen einen höheren Lebensstandard, aber die Immobilienaufkäufer geben uns keine Garantie, dass wir nach der Sanierung auch hierher zurückkehren können", sagt Sailu Mareppa Jogu.

Seine Frau Geeta ergänzt: "Diese Leute verdienen mit ihren Unternehmen viel Geld. Wir verdienen kaum etwas und können nichts sparen. Die Reichen werden immer reicher, aber wir bleiben arm. Sie geben nie etwas ab."

Dahravis Bewohner wollen ein besseres Leben, aber sie wollen es in Dharavi. Dazu gehöre ein uneingeschränkter Zugang zu sauberem Wasser, neue Abwassersysteme, die die offene Kanalisation ersetzen, und eine funktionierende Abfallwirtschaft. Aber sie wollen nicht, dass ihre Häuser und Wohnungen abgerissen und durch Neubauten ersetzt werden.

Modell eines indischen Tempels

Dieses Modell zeigt einen Tempel, den der Milliardär Singhania in Mumbai bauen lassen will.

Wohltätigkeit en vogue unter Indiens Superreichen

Laut dem Magazin Hurun India haben Indiens Milliardäre im Jahr 2023 ihre Spendentätigkeit gegenüber dem Vorjahr um 59 Prozent erhöht, auf insgesamt rund 13,5 Milliarden Euro.

Auch Gautam Singhania möchte etwas zurückgeben - mit einem nicht ganz uneigennützigen Großprojekt: Er lässt einen riesigen Tempel in Mumbai bauen. Das Original steht im südindischen Tirupati und ist dem Gott Venkateswara gewidmet, den er verehrt.

"Ich hielt es für eine wichtige Aufgabe, einen Tempel für die Menschen zu bauen, die nicht zum Tirupati-Tempel pilgern können. Es gibt Zehntausende, die sich eine Reise nicht leisten können. Es wird ein Tempel für Millionen von Gläubigen. Und bis in alle Ewigkeit werden sie wissen, wer ihn gebaut hat", sagt Singhania.

Reichtum konzentriert sich in Indien in den Händen eines kleinen Prozentsatzes der Bevölkerung. So besitzen die reichsten ein Prozent der Bevölkerung über 40 Prozent des gesamten nationalen Vermögens, geschätzte 17,4 Billionen Euro. Dies ist eine der höchsten Vermögenskonzentrationen unter den großen Volkswirtschaften.

Die Hälfte der Bevölkerung, der arme Teil des Landes, besitzt nur etwa 3 Prozent des gesamten Vermögens. Die Regierung von Premierminister Narendra Modi, die 2014 an die Macht kam, hat ein Jahr später die Vermögenssteuer abgeschafft und die ohnehin schon niedrigen Unternehmenssteuern gesenkt.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die ARD in der Sendung "Weltspiegel" am 01. Dezember 2024 um 18:30 Uhr.