Palästinensische Politik Was bewirkt der Regierungswechsel in Ramallah?
Der unbeliebte Palästinenserpräsident Abbas hat eine neue Regierung ernannt. Doch ohne institutionelle Reformen und eine Umsetzung des Oslo-Abkommens wird auch die wenig bewirken können, sagen Kritiker.
Fragt man Palästinenser im besetzten Westjordanland, was besonders unbeliebt ist, dann steht Israel für viele an erster Stelle. An zweiter Stelle dürfte aber die eigene Regierung stehen, die so genannte Palästinensische Autonomiebehörde, kurz PA.
Neuste Umfragen zeigen, dass fast 60 Prozent der Palästinenser wollen, dass sie aufgelöst wird. Denn sie gilt als nutzlos, zunehmend korrupt und autoritär.
Jetzt gibt es auch noch Druck von außen: US-Präsident Joe Biden sagte, die PA müsse "wiederbelebt" werden. Und Mahmoud Abbas, der 88-jährige Palästinenserpräsident, hat reagiert: Die bisherige Regierung tritt zurück, es übernimmt eine sogenannte Technokratenregierung unter Premierminister Mohammad Mustafa.
"Zeigen, dass wir Fortschritt wollen"
Mustafa ist ein anerkannter Wirtschaftsexperte, war aber bisher auch ein enger Berater von Abbas. Er wird ihm nicht gefährlich, auch weil er zu keiner der palästinensischen Gruppierungen gehört. Doch gerade das ist auch ein Problem. Es gibt Kritik, zum Teil Ablehnung, von mehreren Gruppierungen - sogar von einigen Vertretern der Partei Fatah, deren Chef Abbas ist.
Sabri Saidam, ihr stellvertretender Generalsekretär, sitzt im Zentralkomitee der Fatah und war schon mehrmals Minister. Er hat erkennbar Bedenken, was die neue Technokratenregierung angeht, aber er verteidigt sie doch: "Die Ernennung der neuen Regierung soll einerseits den Palästinensern zeigen, dass wir bereit sind, uns zu öffnen. Wir wollen der internationalen Gemeinschaft auch zeigen, dass wir einen Fortschritt wollen. Aber auf Basis einer palästinensischen Agenda und nicht auf einer Agenda, die von außen kommt", erklärt Saidam.
"Wenig, was die Regierung tun kann"
Diana Buttu ist da schon offener. Die Juristin, die in Harvard lehrt, hat jahrelang für Abbas gearbeitet. Sie sieht in der neuen Regierung eine Entpolitisierung der PA - und die sei falsch. Außerdem sei es so, als würde man auf der Titanic noch schnell den Sitzplatz wechseln.
"Der Grund ist, dass die PA nicht souverän ist", meint Buttu. "Sie kontrolliert die Währung nicht, die Grenzen, den Luftraum, nicht einmal die natürlichen Ressourcen." Es könne zwar eine bessere Regierung geben, aber mehr als die bisherigen Regierungen könne diese auch nicht tun. "Was den Alltag angeht, gibt es sehr wenig, was die neue Regierung tun kann. Denn Israel kontrolliert unser Leben", sagt Buttu.
Mit dem im September 1995 unterzeichneten "Interimsabkommen über das Westjordanland und den Gazastreifen" wurden die Vereinbarungen konkretisiert. Ziel war die schrittweise Vorbereitung einer Zwei-Staaten-Lösung, woraus am Ende ein souveräner palästinensischer Staat entstehen sollte. Umgesetzt wurde das Abkommen trotz mehrerer Versuche, es wiederzubeleben, nicht. Seit 2014 hat es keine ernsthaften Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern mehr gegeben.
Die Bedeutung des Oslo-Abkommens
Xavier Abu Eid, Christ und Vertreter der jüngeren Generation, hat sich von der PA, für die er zuletzt gearbeitet hat, abgewandt. Seine Erwartungen an die neue palästinensische Regierung sind auch sehr niedrig. Für ihn liegt das am mangelnden Spielraum und an den Rahmenbedingungen, die es eigentlich durch die Oslo-Abkommen geben müsste. Diese waren mal als ein Weg hin zu einem palästinensischen Staat gedacht - doch das war in den 1990er-Jahren.
"Diese Regierung hat keine Chance, wenn das Oslo-Abkommen nicht umgesetzt wird", sagt Abu Eid. "Israel verletzt das ganz offen. Und es wird keinen Unterschied machen, solange es nicht ein Engagement der internationalen Gemeinschaft gibt, damit die Schwächung der PA aufhört." Was die PA am meisten schwäche, sei die israelische Besatzung.
Wiederaufbau demokratischer Institutionen
Dabei braucht es auch Reformen in der palästinensischen Politik. Zum Beispiel haben die letzten Präsidentschaftswahlen 2005 stattgefunden, die letzte Parlamentswahl 2006. Seitdem seien wichtige Institutionen wie das Parlament nach und nach abgewickelt worden, sagt Ibrahim Dalasha, Leiter eines Thinktanks in Ramallah.
"Wenn man über die Regierung nachdenkt, dann ist das Problem, dass alle Institutionen, die wir hatten, zerstört und irrelevant geworden sind", so Dalasha. Teil einer Wiederbelebung müsse der Aufbau dieser Institutionen sein. "Wir brauchen eine Transformation von der Kontrolle durch einen Mann zu einer Kontrolle durch Institutionen."
Doch die Voraussetzungen dafür sind schlecht: Nicht nur, weil Israel seine Besatzung im Westjordanland immer mehr ausweitet. Auch der nicht enden wollende Krieg im Gazastreifen sorgt dafür, dass das Ansehen der Palästinensischen Autonomiebehörde auf dem Tiefpunkt ist - neue Regierung hin oder her.