Möglicher Angriff des Iran Zwischen Rachedrohungen und Kriegsangst
Vieles deutet auf einen bevorstehenden Angriff des Iran auf Israel hin. Die Frage ist, wie groß er ausfällt. Die Führung in Teheran meidet bisher einen direkten Krieg mit Israel. Wie weit ist die Islamische Republik bereit zu gehen?
Geduld ist eine Tugend, im Iran sogar eine überlebenswichtige. Iranerinnen und Iraner haben sie perfektioniert über die Jahre: Ob im Verkehr, der in der Hauptstadt Teheran die meiste Zeit die Straßen lahmlegt oder im Alltag, wenn es beispielsweise darum geht, die Internetzensur zu umgehen. Kreative Wege finden sich meistens, auch wenn sie mühsam sind.
Auch aktuell ist Geduld gefragt. Viele Menschen rätseln, wie die Führung im Land auf die aktuellen Ereignisse im Nahen Osten reagieren wird, vor allem nach der Tötung des Hisbollah-Chefs Hassan Nasrallah vergangenen Freitag. Heute am Nachmittag sprachen ranghohe US-Regierungsvertreter von Hinweisen darauf, dass der Iran in Kürze einen ballistischen Raketenangriff auf Israel starten wird.
Bevölkerung will besseres Leben - keinen Krieg
"Rache? Das kann doch nicht deren ernst sein", empört sich eine Frau Mitte fünfzig beim Blick auf die Schlagzeilen einiger Hardliner-Zeitungen, die vor einem Kiosk aufgereiht sind. Eine andere Dame stimmt ihr zu: "Wir kämpfen bereits in unserem täglichen Leben - jeden Tag auf verschiedene Weise. Jetzt auch noch Bomben und Panzer? Das ist doch schrecklich." Statt Geld in Krieg und Waffen sollte die Führung lieber in Infrastruktur des Landes und die eigene Bevölkerung investieren, lautet seit langem eine Forderung vieler Iraner.
Dass ein direkter Angriff auf Israel der Auftakt eines Krieges wäre, davon sind hier die meisten überzeugt. Und was Krieg bedeutet, weiß man im Iran. Acht lange Jahre kämpfte man in den 1980er-Jahren gegen das Nachbarland Irak, Hunderttausende Menschen starben damals auf beiden Seiten. Auch junge Menschen kennen die Geschichten, fast jede iranische Familie verlor jemanden oder wurde in anderer Weise Leidtragende des Krieges.
Hardliner setzen Peseschkian unter Druck
Dennoch gibt es einen Teil in der Gesellschaft, der aktuell lautstark nach Vergeltung schreit. Unterstützer des Regimes, ultra-religiöse und glühende Anhänger der islamischen Revolution von 1979. Auf Demos rufen sie neben ihrem üblichen Slogan "Tod Israel, Tod den USA" derzeit auch "Tod den Kompromissbereiten". Gemeint ist der Teil im politischen Establishment, den man im Iran gemeinhin als reformorientiert bezeichnet.
Zu ihm gehört auch Präsident Masoud Peseschkian. Er folgte auf den bei einem Hubschrauberabsturz verunglückten Ebrahim Raisi. Zu Peseschkians Amtseinführung, Ende Juli, war auch Ismail Hanija, Auslandschef der Hamas, angereist. In der Nacht darauf wurde er getötet, mutmaßlich vom israelischen Geheimdienst. Die iranische Führung drohte und schwor Rache - doch ein direkter Angriff - wie im April dieses Jahres - blieb aus.
Das werfen die Hardliner im Land Peseschkian nun vor. Sein Versuch, wieder bessere Beziehungen zum Westen aufzubauen, sei von Beginn an falsch gewesen, glauben sie. "Rache muss sein", sagt ein Mann auf einer der Demos, auf dem Kopf trägt er eine Kufiya, in Deutschland besser bekannt als Palästinensertuch. "Israel ist nur so mutig geworden, weil der Iran seit der Ermordung von Ismail Hanija nicht reagiert hat." Eine Meinung, die hier auf der Demo alle vertreten.
Iran attackiert Israel über Stellvertreter
Doch anzunehmen, dass die iranische Zurückhaltung der vergangenen Wochen nur ein Resultat von Peseschkians Politik sei, wäre naiv, sagen Beobachter. Sie decke sich vielmehr mit der jahrzehntelangen Strategie des Systems, in dem Peseschkian Politik macht. Eine Strategie, die seit langem auf die Verbündeten in der Region setzt, um äußere Konflikte auszutragen. Über die Jahrzehnte baute Teheran sich Stellvertreter in der Region auf, von der Führung als "Achse des Widerstands" bezeichnet.
Die stärkste Gruppe darin: die Hisbollah, maßgeblich vom Iran Anfang der 1980er-Jahre mitbegründet. Sie ist hochgerüstet und gut ausgebildet. Die Gruppe diente der Islamischen Republik bisher als Bollwerk gegen Israel, ein verlängerter Arm sozusagen mit direkter Landesgrenze zum Erzfeind. Doch nun steht die Hisbollah geschwächt da, in kurzer Zeit verlor sie nicht nur hochrangige Mitglieder, sondern nun auch ihren jahrzehntelangen Anführer.
Hisbollah vom Mossad unterwandert?
In dieser Situation habe die Führung in Teheran ihren engsten Verbündeten im Stich gelassen, es soll darüber innerhalb der Hisbollah Ärger geben, berichten mehrere internationale Medien. Die französische Zeitung Le Parisien geht noch einen Schritt weiter: Der Informant, der Israel die entscheidende Info darüber gegeben haben soll, dass Nasrallah sich vergangenen Freitag auf den Weg in den Bunker befände, der wenig später bombardiert wurde, sei Iraner gewesen.
Iranische Medien sprechen hingegen von einem Maulwurf innerhalb der Hisbollah. Würde sich ersteres bewahrheiten, hieße das, der israelische Geheimdienst hätte den iranischen Sicherheitsapparat tief unterwandert.
Angst vor Krieg mit Israel und den USA
Im iranischen Machtzirkel dürfte nicht nur nach möglichen Lücken im Sicherheitsnetz gesucht werden, sondern auch eifrig daran gearbeitet werden, wie man nun reagiert. Dass der Iran in irgendeiner Form reagieren wird, darin sind sich die meisten Experten einig. "Nichts zu tun, käme einem Gesichtsverlust gleich", meint ein ausländischer Diplomat, der nicht genannt werden will.
Doch an oberster Stelle stünde den Herrschenden im Land, dass ihre Macht nicht gefährdet sei - ein Krieg mit Israel - und in der Konsequenz auch mit den USA - würde das unter Umständen infrage stellen.