Nahost-Krieg So nah wie nie am Geisel-Deal
Israels Premier Netanyahu, die Hamas und der Vermittler Katar melden übereinstimmend große Fortschritte bei den Verhandlungen über einen Austausch mehrerer Geiseln gegen Gefangene. Auch eine Waffenruhe soll bevorstehen.
Er hoffe, es werde bald gute Nachrichten geben: So hat sich Israels Premierminister Benjamin Netanyahu vor Reservisten zu Verhandlungen über eine Freilassung weiterer Geiseln geäußert. Netanyahu will um 18:00 Uhr Ortszeit (17:00 deutscher Zeit) Minister einberufen, die mit dem Krieg gegen die Hamas-Terroristen befasst sind. Anschließend sollen alle Minister sicherheitsrelevanter Ressorts und schließlich sein gesamtes Kabinett zusammentreten.
Vorab betonte Netanyahu, dass die Kampfhandlungen im Gazastreifen auch nach einer möglicherweise bevorstehenden Feuerpause fortgesetzt werden. Der Krieg werde auch nach Umsetzung einer Vereinbarung mit der Hamas weitergehen, "bis wir alle unsere Ziele erreicht haben", sagte er.
Zugleich warb er für um Zustimmung für ein Abkommen mit der Hamas über die Freilassung von Geiseln. Es sei "eine schwierige Entscheidung, aber die richtige Entscheidung", sagte Netanyahu. US-Präsident Joe Biden habe dazu beigetragen, den "Rahmen" des Abkommens zu verbessern, um die Freilassung von "mehr Geiseln zu einem niedrigeren Preis" zu umfassen, sagte er.
Auch Kanälen der Hamas war zu entnehmen, dass eine Freilassung von Geiseln im Rahmen eines Austauschs gegen palästinensische Gefangene in Israel bevorstehen soll - ebenso sei man "einem Waffenstillstandsabkommen viel näher gekommen", sagte demnach Izzat al-Rischk aus dem Führungskreis der Terrormiliz.
Auch der Golfstaat Katar, der als Vermittler zwischen den Kriegsparteien auftritt, äußerte sich zuversichtlich: "Wir sind so nah wie nie zuvor an einer Einigung", hieß es aus dem Außenministerium in Doha.
Vereinte Nationen könnten Hilfsgüter liefern
Details einer möglichen Übereinkunft gab bislang keine Seite offiziell bekannt. Die israelische Nachrichtenseite "Ynet" schrieb, die Hamas wolle 50 Geiseln im Austausch gegen 150 bis 300 weibliche und minderjährige Palästinenser freilassen, die in Israel in Haft sitzen. Der Austausch solle dem Bericht nach gestaffelt erfolgen: Pro Tag sollen zehn Menschen aus der Gewalt der Hamas freikommen, von israelischer Seite 30 Gefangene. Weiter schrieb "Ynet", dass im Rahmen einer fünftägigen Kampfpause auch Lastwagen mit Lebensmitteln, medizinischen Hilfsgütern und Treibstoff in den Gazastreifen einfahren dürften. Israels Regierung kommentierte die Berichte jedoch zunächst nicht.
Käme die Waffenruhe zustande, wären die Vereinten Nationen in der Lage, humanitäre Hilfsgüter zu liefern. Diese stünden ausreichend zur Verfügung, sagte WHO-Sprecher Christian Lindmeier in Genf.
UNICEF-Sprecher James Elder forderte Sicherheitsgarantien für die Helfer in Gaza. Bleibe der Zugang von Kindern zu Wasser und sanitären Einrichtungen weiter eingeschränkt, würden noch mehr Kinder sterben, warnte er. Es bestehe die Gefahr eines Ausbruchs von Seuchen.
Entscheidung nach Kabinettssitzung?
In Israel gilt eine Zustimmung der Regierung zu einem Abkommen als wahrscheinlich. Für einen Gefangenenaustausch ist seit einer Gesetzesänderung von 2014 das Ja des gesamten Kabinetts notwendig. Demnach ist eine vorzeitige Entlassung von Gefangenen nur unter strengen Bedingungen möglich, etwa wenn sie der nationalen Sicherheit dient oder Teil einer außenpolitischen Vereinbarung ist.
Ob unmittelbar im Anschluss der Kabinettssitzung am Dienstagabend eine Vereinbarung bekanntgegeben wird, ist unklar. Ein Regierungssprecher sagte, Familien von betroffenen Terroropfern hätten die Möglichkeit, innerhalb von 24 Stunden Einspruch beim Obersten Gericht einzureichen. "Nach israelischem Recht haben die Familien der Opfer von Terroristen, die in israelischen Gefängnissen sitzen und Blut an ihren Händen haben, das Recht, innerhalb von 24 Stunden vor dem Obersten Gerichtshof gegen ihre Freilassung Einspruch zu erheben", sagte der Sprecher.
Ben-Gvir: Erinnerungen an Schalit-Deal
Der rechtsextreme Polizeiminister Itamar Ben-Gvir, der allerdings nicht Mitglied des Kriegskabinetts ist, äußerte sich "sehr beunruhigt" darüber, dass von einem möglichen Abkommen mit der Hamas die Rede sei: Er sei in Sorge, dass der Staat Israel einen "sehr, sehr, sehr großen Fehler" machen könnte. Ben-Gvir brachte die Meldungen in Zusammenhang mit dem sogenannten Schalit-Deal von 2011, als Hamas-Chef Jihia al-Sinwar und 1000 weitere palästinensische Gefangene im Austausch gegen den israelischen Soldaten Gilad Schalit freikamen.