Machtübernahme von Islamisten Warum Israel in Syrien militärisch vorgeht
Nach dem Sturz des Assad-Regimes in Syrien fliegt Israel weiter Luftangriffe und rückt augenscheinlich im Nachbarland vor. Geht es dabei nur um Verteidigung? Ein Experte sagt, es habe auch mit dem 7.Oktober zu tun.
Jeeps durchfahren mit Stacheldraht versehene Sperrzäume, rollen über hügeliges Gelände. Bewaffnete Militärs laufen über befestigte Straßen. Es sind israelische Soldaten auf syrischem Gelände, die die Bilder zeigen. Das Militär hat sie am Morgen selbst veröffentlicht.
Die israelische Luftwaffe flog am Dienstag weitere Angriffe in Syrien. Berichte, wonach Truppen noch tiefer in das Landesinnere vorgedrungen seien, sogar Panzer 25 Kilometer vor Damaskus gestanden hätten, dementierte ein Armeesprecher aber. Israelische Truppen befänden sich lediglich in der Pufferzone am Golan und an "Verteidigungspunkten" nahe der Grenze, behauptete er.
Die entmilitarisierte Zone befindet sich zwischen Syrien und den von Israel annektierten Golanhöhen. Sie wurde nach dem Nahostkrieg vor 50 Jahren von den Vereinten Nationen eingerichtet. Israel hatte nach dem Sturz des syrischen Machthabers Bashar al-Assad durch Rebellen am Sonntag Truppen dorthin verlegt - laut Premierminister Benjamin Netanyahu nur eine vorübergehende Maßnahme.
Vom Regimewechsel überrascht
Israels Aktion sei eine Vorsichtsmaßnahme, sagt Eyal Zisser. Der Politikwissenschaftler lehrt an der Tel Aviv Universität und ist Experte für Syrien und den Libanon. Auch Israel sei von dem Kollaps des Assad-Regimes und der Übernahme durch die Islamisten überrascht worden, sagt er. "Wie überall in der Region und der Welt verfolgt Israel sehr genau, was jetzt in Syrien passiert."
Israel nennt die Angriffe in Syrien Verteidigung, scheint aber auch die Gunst der Stunde zu nutzen. Mit den Angriffen will man nicht nur eine potenzielle Gefahr aus Syrien von vornherein unterbinden. Auch Irans Nachschublinien für die Hisbollah-Miliz im Libanon sollen unterbrochen werden.
Eine "Verteidigungszone wird errichtet"
Israels Verteidigungsminister Israel Katz betonte, die israelischen Streitkräfte seien bereits seit mehreren Tagen in Syrien im Einsatz, "um strategische Einrichtungen anzugreifen und zu zerstören, die den Staat Israel bedrohen". Die israelische Regierung habe die Armee angewiesen, im Süden Syriens eine "Verteidigungszone ohne Waffen und terroristische Bedrohungen" einzurichten. Genaue Angaben, wo diese Verteidigungszone sein solle, machte er jedoch nicht.
Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien verurteilten das Vorgehen. Sie werfen Israel den Bruch von Völkerrecht vor. Kritik kommt auch von den Vereinten Nationen. Der UN-Syrienbeauftragte Geir Pedersen mahnt. "Wir sehen weiterhin israelische Bewegungen und Bombardierungen auf syrischem Gebiet", sagte er in Genf. "Das muss aufhören." Nach Angaben von Israels Armee sollen mehr als 350 Ziele angegriffen worden sein.
Sorge um Waffenarsenale
Der Politikwissenschaftler Zisser aus Tel Aviv sieht in dem Vorgehen auch eine Konsequenz aus dem Trauma des 7. Oktober. Israels Armee und die Regierung seien damals überrascht worden. Nun wolle niemand ein Risiko eingehen. Die Besetzung der Pufferzone sei dahingehend ein "logischer Schritt", meint er - "etwas, das Israel ein Gefühl von Sicherheit gibt".
Ebenso wie es logisch sei, die Waffenarsenale Assads loszuwerden, bevor diese womöglich an die Falschen geraten. Nach israelischen Angaben beschoss die Armee in Syrien unter anderem Chemiewaffenlager. "Damit sie nicht in die Hände von Extremisten fallen", sagte der israelische Außenminister Gideon Saar. Beobachtern zufolge könnten sich noch große Mengen chemischer Kampfstoffe und Munition in Syrien befinden.
Verteidigungsminister Katz erklärte außerdem, dass Israel in der Nacht die syrische Militärflotte zerstört habe.
Die künftigen Machtverhältnisse sind noch ungewiss
Syrien sei jetzt für alle eine große Unbekannte, sagt Politikwissenschaftler Zisser. Es sei unklar, ob der islamistische Rebellen-Anführer Muhammed al-Dscholani, der bislang mit der HTS nur in der Provinz Idlib herrschte, das Land regieren könne. "Er ist jetzt in Damaskus. Aber er muss auch andere Teile des Landes, andere Gruppen überzeugen. Er wird lange brauchen, um ein kaputtes Land wiederaufzubauen."
Noch ist unklar, wie die neuen Machthaber in Syrien zu Israel stehen werden. Mit dem säkularen Assad habe es zumindest eine Art Stabilität gegeben, sagt Zisser. Nun mache die Ungewissheit den Menschen Angst. "Assad war kein echter Partner. Aber es gab mit ihm eine Art Einverständnis, die Grenze ruhig zu halten." Nun müsse man abwarten.
Politikwissenschaftler Zisser sieht die Chance, dass mithilfe regionaler Unterstützer wie der Türkei oder Saudi-Arabien künftig Kommunikationskanäle zwischen Israel und Syrien etabliert werden könnten. "Vielleicht könnten wir künftig sogar eine bessere Beziehung haben", sagt er. "Aber Frieden ist noch weit von uns entfernt."