Syrien nach Sturz von Assad Islamisten arbeiten an neuer Regierung
Die jahrzehntelange Herrschaft der Assad-Dynastie in Syrien ist vorbei. Aber was kommt jetzt? Die Islamisten-Gruppe HTS spricht von einer neuen Regierung, die entstehen solle. Nun ist auch ein Name im Gespräch.
Die Aufständischen in Syrien wollen in der Hauptstadt Damaskus offenbar schrittweise eine neue Ordnung etablieren und auch eine neue Regierung bilden. "Unsere Kräfte sind fast fertig damit, die Kontrolle in der Hauptstadt zu übernehmen und öffentliches Eigentum zu schützen", teilte die islamistischen Gruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS) in sozialen Medien mit.
Inzwischen ist klar, wer sich um die Regierungsbildung kümmern soll. Nach einem Spitzentreffen wurde Mohammed al-Baschir, bislang Regierungschef in der Rebellenhochburg Idlib, beauftragt, wie mehrere arabische Medien meldeten. An der Sitzung nahm demnach neben dem islamistischen Rebellenführer Abu Mohammed al-Dschulani und al-Baschir auch der bisher amtierende Ministerpräsident Mohammed al-Dschalali teil. Vereinbart wurde eine reibungslose Übertragung der Verwaltungsgeschäfte sowie die Umstände der Machtübergabe, wie der Nachrichtensender Al-Arabija berichtete.
In einer Fernsehansprache sagte al-Dschalali, er werde die Übergangsregierung unterstützen. "Es finden Gespräche statt, um den Übergang zu regeln", sagte der Premierminister der alten Regierung.
Laut dem ARD-Korrespondenten Ramin Sina ist "eine Übergangsregierung mit vier Köpfen im Gespräch". Mögliche Namen seien bislang nicht bekannt. Auch ob Minderheiten dabei berücksichtigt würden, sei unklar, sagte Sina in den tagesthemen.
Machtvakuum in einem zersplitterten Land
Nach dem Sturz des langjährigen Machthabers Bashar al-Assad ist in Syrien ein Machtvakuum entstanden. Die Ungewissheit, wie es weitergehen könnte, ist groß. Nach Jahren des Bürgerkriegs ist Syrien zersplittert.
Neben der HTS und verbündeten Islamistengruppen sind im Land unter anderem kurdische sowie Türkei-nahe Milizen aktiv. In dem ethnisch und konfessionell gespaltenen Land leben unter anderem Kurden, Alawiten, Drusen und Christen. Die Minderheit der Alawiten war der wichtigste Unterstützer der nun gestürzten Assad-Regierung.
Ein Sprecher des Auswärtigen Amts in Berlin teilte mit, erstmal gehe es darum, "dass das Land jetzt nicht in die Hände von anderen Radikalen fallen darf, egal in welchem Gewand". In Bezug auf die Gruppe HTS sagte er, sie würde an ihren Taten gemessen.
Vorsichtige Töne aus Teheran und Moskau
Aus Kreisen der iranischen Führung hieß es, man knüpfe erste Kontakte nach Damaskus. Teheran ist enger Verbündeter des Assad-Regimes - ebenso wie Moskau. Von dort hieß es, die Zukunft der russischen Militärstützpunkte in Syrien sei ungewiss. Vorerst wird man sie allerdings behalten und mit der künftigen Führung deren Verbleib besprechen, so Kremlsprecher Dmitri Peskow der russischen Nachrichtenagentur Interfax zufolge.
Angespannte Ruhe in Damaskus
Einen Tag nach dem Einzug der Aufständischen in Damaskus und dem Sturz des langjährigen Machthabers Assad berichten Bewohner der Hauptstadt von turbulenten Zuständen. "Überall herrscht Chaos", sagte eine Frau, die in Nähe der früheren Assad-Residenz lebt. Auf der Straße bewegten sich Gruppen, die "wie Banden aussehen". Viele Menschen blieben wegen der unübersichtlichen Lage zu Hause, zudem gelte ab nachmittags eine nächtliche Ausgangssperre.
Viele Geschäfte blieben laut Augenzeugen geschlossen. "Seit Samstag konnte ich die Türen nicht öffnen", sagte ein Mann namens Mustafa, der jetzt wieder den Mut hatte, seinen Supermarkt zu öffnen. "Heute fühlte ich mich sicherer", sagte er. "Auf den Hauptstraßen wurde viel geplündert", berichtet er - aber sein Laden sei klein und eher versteckt gelegen.
Sicherheitskräfte sind Reportern der Nachrichtenagentur AP zufolge kaum auf den Straßen zu sehen. In einigen Gegenden waren aber kleine Gruppen bewaffneter Männer stationiert.
In einem Video im Internet ist ein Mann in Militärkleidung mit einem Gewehr zu sehen, der versuchte, Bewohnern des Wohnviertels Messe zu versichern, dass ihnen nichts passieren werde. "Wir haben nichts gegen Sie, weder gegen einen Alawiten, noch einen Christen, Schiiten oder Drusen, aber jeder muss sich gut benehmen und keiner sollte versuchen uns anzugreifen", sagte der Mann demnach.
Viele Flüchtlinge wollen nach Syrien zurück
Aus der benachbarten Türkei und dem Libanon, wo sehr viele syrische Flüchtlinge leben, gibt es Berichte über lange Schlangen an den Grenzübergängen. Sehr viele syrische Familien wollen nun nach dem Ende der Assad-Herrschaft in ihre Heimat zurück - trotz einer katastrophalen humanitären Lage, in der mehr als 16 Millionen Menschen auf Hilfe angewiesen sind.