Syrien Wie Assad gestürzt wurde - und was das bedeutet
In verblüffend kurzer Zeit ist das Assad-Regime nach Jahren des Bürgerkriegs zusammengebrochen. Wie kam es zur Eroberung von Damaskus durch die Rebellen, und was bedeutet das nun für das Land und die Region?
Was ist passiert?
In der Nacht von Samstag auf Sonntag überschlugen sich die Ereignisse in Syrien. Gerade erst hatten die Rebellen mitgeteilt, dass sich die Stadt Homs vollständig unter ihrer Kontrolle befinde, da kamen die ersten Hinweise auf die Eroberung der Hauptstadt Damaskus.
Gegen 3.00 Uhr (MEZ) meldeten die Nachrichtenagenturen, die Rebellen der islamistischen Miliz Hajat Tahrir al-Scham (HTS) hätten über ihren Kanal im Onlinedienst Telegram mitgeteilt, dass sie in die syrische Hauptstadt Damaskus eingedrungen seien. Offenbar hatten Regierungstruppen weitere Stellungen aufgegeben, unter anderem den Flughafen der Hauptstadt.
Auch die Präsidentengarde habe die Hauptstadt verlassen, hieß es. Kurz darauf wurde gemeldet, Präsident Bashar al-Assad habe ein Flugzeug bestiegen und ein unbekanntes Ziel angesteuert.
Der Vormarsch in das Zentrum der Stadt vollzog sich dann offenbar von mehreren Richtungen aus ohne nennenswerte Gegenwehr der Armee. Zwar war vereinzelt noch von Gefechten die Rede, von einem massiven Widerstand kann aber offenkundig nicht die Rede sein. An der Eroberung der Stadt waren auch mit der HTS verbündete Aufständische beteiligt.
Augenzeugen berichteten, die Islamisten seien in Damaskus von jubelnden Bewohnern und von Freudenschüssen empfangen worden. Die Rebellen ließen nach ihrer Ankunft Gefangene aus einem berüchtigten Gefängnis frei.
Regierungschef Mohamed al-Dschalali erklärte in einem auf seinem Facebook-Konto veröffentlichten Video am frühen Morgen seine Bereitschaft für eine Machtübergabe noch am selben Tag. Auch die syrische Armee teilte mit, die Herrschaft Assads sei beendet.
Am frühen Morgen dann teilten die Rebellen in einer Fernsehansprache mit, dass sie Damaskus befreit und das Assad-Regime gestürzt hätten.
Welche Gruppe übernimmt nun die Macht?
Bei den Rebellen handelt es sich um eine heterogene Gruppe. Das Bündnis der Aufständischen wird angeführt von der Islamistengruppe Hajat Tahrir al-Scham (HTS). Zuvor hatte sie Verbindungen zur Terrororganisation Al Kaida. Sie sagte sich später aber öffentlichkeitswirksam von diesen los.
Der Angriff auf die Regierungstruppen wurde aber auch von Rebellengruppen im Norden, Kurdenmilizen im Nordosten sowie Zellen der Terrormiliz IS geführt.
Wie diese nun die Macht untereinander aufteilen, ob eine Gruppe allein oder mehrere gemeinsam die neue Regierung bilden werden, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht absehbar.
Warum hat die syrische Armee sich nicht gewehrt?
Diese Frage beschäftigt alle Beobachter. Über Jahre hatte die syrische Armee mit Unterstützung ihrer Verbündeten einen unerbittlichen und brutalen Krieg gegen die Aufständischen im Land geführt. Bis zum vergangenen Wochenende schien es, dass der Großteil des Landes fest in der Hand des Regimes sei.
Nun aber ist die Herrschaft Assads innerhalb von Tagen in sich zusammengebrochen. Wo die Rebellen auftauchten, flohen die Soldaten des Präsidenten und ließen ihr Gerät zurück. Dies kann mehrere Ursachen haben.
Möglich ist, dass die Armee und ihre Soldaten nach jahrelangem Kampf erschöpft und ausgelaugt waren. Dieser Zustand könnte in dem Moment seine Wirkung entfaltet haben, da die Armee unerwartet auf breiter Front angegriffen wurde. Warum die Anzeichen dafür nicht erkennbar waren, ist eine weiter ungeklärte Frage.
Es liegt nahe, dass für die Motivation auch der Zustand der Verbündeten eine Rolle gespielt hat. Von ihnen kam in den entscheidenden Tagen nur wenig Unterstützung. Die Armee Assads war somit auf sich allein gestellt - im Wissen, dass sie sich all die Jahre nur mit massiver Unterstützung Russlands und des Iran an der Macht hatte halten können. Das dürfte sich deutlich auf ihre Kampfbereitschaft ausgewirkt haben.
Warum haben Russland und der Iran Assad so lange gestützt?
Assads politisches Überleben hing seit Jahren von der militärischen Unterstützung Russlands und des Irans ab. Das Eingreifen der russischen Armee markierte 2015 einen Wendepunkt im syrischen Bürgerkrieg - Assad kontrollierte zu dem Zeitpunkt nur noch einen kleinen Teil des Landes.
Russische Aufklärung, Waffenlieferungen und Unterstützung durch Militärberater, vor allem aber die Überlegenheit der russischen Luftwaffe und ihre schonungslosen Bombardements auch ziviler Ziele in den Rebellengebieten setzte den Aufständischen schwer zu.
Ein weiterer Faktor war die Unterstützung der syrischen Armee durch die iranischen Revolutionsgarden, die sie mit Ausbildung und Kämpfern unterstützte. Auch die Beteiligung der libanesischen Hisbollah-Miliz an der Seite Assads muss dem iranischen Einfluss zugeschrieben werden.
Russland und der Iran verfolgten mit ihrem Eingreifen weitreichende strategische Ziele: Russland meldete sich 2015 als Weltmacht zurück - ein Signal auch an den damaligen US-Präsidenten Barack Obama, der in Russland nur noch eine Regionalmacht sah. Vor allem aber bekam Russland im Gegenzug für seine Unterstützung Stützpunkte am Mittelmeer, die von großer strategischer Bedeutung sind.
Auch dem Iran ging es um mehr Einfluss in der Region - nicht zuletzt mit Blick auf Syriens Nachbarland Israel, dessen Vernichtung sich Teheran zum Ziel genommen hat. Mit dem Einfluss der Hisbollah auf den Libanon und einem syrischen Herrscher am Gängelband war dieser Einfluss deutlich gewachsen. Eine Facette darin war sicher auch das Ringen mit der Türkei und Saudi-Arabien um die Vorherrschaft in der Region.
Warum wurde Assad von den Unterstützern nun fallen gelassen?
So sehr Assad von der Stärke und dem Willen Russlands und des Iran profitierte, die Region nach ihrem Willen zu gestalten, so sehr dürfte er jetzt über ihre Schwäche gestürzt sein.
Russlands Armee ist im Krieg gegen die Ukraine gebunden, wo sie seit drei Jahren einen verlustreichen Kampf führt - zwar mit Gebietsgewinnen, aber doch deutlich langsamer als wohl zu Beginn des vollumfänglichen Angriffs 2022 geplant. Das dürfte die russische Armee daran gehindert haben, Assad zusätzliche Kapazitäten zur Verfügung zu stellen.
Der Iran und die Hisbollah wiederum sind durch den Krieg im Gazastreifen und die deutlich verschärfte Konfrontation mit Israel massiv geschwächt. Israel hat die Führung der Hisbollah ausgeschaltet und setzt die Miliz im Süden Libanons massiv unter Druck. Zu einer Unterstützung Syriens schien sie zuletzt nicht mehr in der Lage.
Und der Iran ist ebenfalls Ziel israelischer Angriffe geworden und kaum noch fähig, außerhalb seiner Grenzen so zu agieren wie in den vergangenen Jahren. Diese Kombination dramatischer internationaler Entwicklungen dürfte zum Ende des Assad-Regimes geführt haben.
Wo ist Assad jetzt?
Bereits unmittelbar nach der Einnahme von Damaskus wurde spekuliert, ob Assad mit einem Flugzeug floh. Von einem durch Russland betriebenen Flughafen südöstlich von Latakia war kurz zuvor eine Transportmaschine gestartet. Ihr Ziel war zunächst unbekannt. Ein Vertreter des Kremls hat inzwischen mitgeteilt, dass sich der entmachtete Präsident und seine Familie in Moskau aufhalten sollen. Präsident Wladimir Putin habe ihnen "aus humanitären Erwägungen" Asyl gewährt.
Welche Rolle spielt die Türkei?
Die Türkei hatte sich im Bürgerkrieg früh auf Seiten der islamistischen Rebellen und gegen Assad gestellt. Der Vormarsch der Rebellen seit der vergangenen Woche soll von der Türkei mit unterstützt worden sein.
Die Interessen Recep Tayyip Erdogans im Nachbarland sind vielfältig. Der türkische Präsident möchte den Einfluss seines Landes und der ihm nahestehenden islamistischen Gruppen in der Region stärken. Und er möchte verhindern, dass kurdische Gruppen in Syrien an Einfluss gewinnen und möglicherweise autonome Gebiete bilden können. Das könnte ähnlichen Bestrebungen in der Türkei zusätzlichen Aufwind verschaffen. Deshalb ist die Türkei seit Jahren in Syrien militärisch aktiv, hat wiederholt mit ihrer Armee eingegriffen und kontrolliert mit ihr nahestehenden Rebellengruppen Gebiete im Nordosten Syriens.
Aber Erdogan hat noch ein weiteres Ziel: Sein Land hat seit 2011 Millionen syrischer Flüchtlinge aufgenommen - nach wie vor sollen sich drei Millionen Syrer in der Türkei aufhalten. Das ist in Zeiten der Wirtschaftskrise zunehmend unpopulär im Land geworden. Seit längerem propagiert die türkische Regierung das Ziel, die Flüchtlinge nach Syrien zurückzuführen. Diesem Ziel könnte Erdogan mit dem Sturz Assads einen deutlichen Schritt näher gekommen sein.
Der türkische Außenminister Hakan Fidan betonte, das syrische Volk könne nun die Zukunft des Landes neu gestalten. Terroristische Organisationen wie die PKK oder der sogenannte Islamische Staat dürften in diesem Prozess nichts gewinnen.
Wie sind die Reaktionen auf den Sturz von Assad?
International wird der Sturz Assads mit Zustimmung, aber auch Zurückhaltung und Sorge um die Stabilität des Landes und der Region aufgenommen.
Bundeskanzler Olaf Scholz bezeichnete den Assads Sturz als "gute Nachricht". Assad habe sein eigenes Volk "auf brutale Weise unterdrückt, unzählige Leben auf dem Gewissen und zahlreiche Menschen zur Flucht aus Syrien getrieben, viele kamen auch nach Deutschland", teilt Scholz mit. Jetzt komme es darauf an, dass in Syrien schnell Recht und Ordnung wieder hergestellt würden.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock räumte ein, dass noch unklar sei, was in Syrien geschehe. Sie hob aber hervor, dass der Sturz des Präsidenten "ein erstes großes Aufatmen nach einer Ewigkeit der Gräuel des Assad-Regimes" sei. Das Land dürfe jetzt nicht in die Hände anderer Radikaler fallen, sagte Baerbock und forderte einen umfassenden Schutz von ethnischen und religiösen Minderheiten im Land.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sagte, der barbarische Staat sei endlich gefallen. Macron erklärte weiter, er zolle dem syrischen Volk seinen "zu seinem Mut und seiner Geduld". Frankreich werde sich weiter für die Stabilität im Nahen Osten einsetzen.
Russlands Außenminister Sergej Lawrow hatte sich gestern noch hinter Assad gestellt und bekräftigt, Russland tue alles, um einen Sieg von "Terroristen" in Syrien zu verhindern. Zugleich forderte er einen Dialog zwischen der Regierung in Damaskus und der legitimen Opposition, ohne zu sagen, welche Gruppen er damit meinte.
Unter den derzeitigen Bedingungen des voll aufgeflammten Bürgerkrieges könne Russland Syrien nicht mehr unterstützen, schrieb der prominente Außenpolitiker und stellvertretende Vorsitzende des russischen Föderationsrates, Konstantin Kossatschow, bei Telegram. Damit müssten die Syrer "nun alleine klarkommen".
Aus den USA kam ein vergleichsweise vielfältiges Echo. Während Präsident Joe Biden erklären ließ, man beobachte die Entwicklung sorgfältig, zeigte der künftige Präsident Donald Trump auf die Verbündeten Assads. Russland und der Iran seien in einem geschwächten Zustand - und verknüpfte das mit einem Appell an Wladimir Putin, jetzt auch über die Ukraine zu verhandeln - jetzt Putins "Zeit zum Handeln gekommen".
Der Beauftragte des US-Verteidigungsministeriums für den Nahen Osten, Daniel Shapiro, betonte, die USA wollten an ihrer Präsenz im Land festhalten. Etwa 900 US-Soldaten sind noch in Syrien, in erster Linie im Nordosten.
Aus dem Iran gibt es bislang zwar keine offiziellen Reaktionen, berichtet ARD-Korrespondent Alfred Schmit, aber einzelne Personen meldeten sich in sozialen Medien zu Wort: Ein Parlamentsmitglied aus der Kommission für Sicherheit und Außenpolitik schreibe: Assad sei nicht von einer genuinen syrischen Opposition zu Fall gebracht worden. Sondern es sei eine multinationale Armee unter Einfluss der Geheimdienste aus den USA, Großbritanniens und der Türkei gewesen. Der frühere Außen-Ausschussvorsitzende im iranischen Parlament schrieb: Iran habe Grund zur Freude. Die neue Lage spare dem iranischen Staat viel Geld.