Israelische Soldaten operieren während einer Razzia im Nur Shams Lager für palästinensische Flüchtlinge in der Nähe der Stadt Tulkarem im israelisch besetzten Westjordanland

Offensive im Westjordanland Israel startet größten Einsatz seit 22 Jahren

Stand: 28.08.2024 15:04 Uhr

Das israelische Militär geht im besetzten Westjordanland massiv gegen bewaffnete Palästinenser vor. Die israelische Armee spricht vom größten Militäreinsatz seit 2002. Wie lange er dauern soll, ist unklar.

Schusswechsel, in den frühen Morgenstunden in Dschenin, auch in Tulkarem gab es Zusammenstöße zwischen israelischen Sicherheitskräften und bewaffneten palästinensischen Kämpfern. Im Jordantal wurden Palästinenser bei einem Luftangriff getötet.

Tim Aßmann, ARD Tel Aviv, zzt. Nahal Oz, zu Zielen des israelischen Angriffs im Westjordanland

tagesschau24, 28.08.2024 14:00 Uhr

Die israelische Armee spricht vom größten Militäreinsatz im Westjordanland seit 22 Jahren. Auch Doron Kadosh, ein Militärexperte sagt im israelischen Armeeradio: "Es ist eine sehr breit angelegte Operation. Es gibt Stimmen, die sagen, die Operation sei der größte Einsatz seit der Operation Schutzschild im Jahr 2002. Denn hier gibt es mehrere Einsätze in mehreren Flüchtlingscamps gleichzeitig. In Dschenin, in Nur el Schams in Tulkarem und auch im Flüchtlingslager Elfariya im Jordantal."

Einsatz gilt Terrorabwehr

Der Einsatz konzentriert sich auf den Norden des von Israel besetzten Westjordanlandes und dient israelischen Angaben zufolge der Terrorabwehr. Die Gefahr von Anschlägen habe sich seit dem 7. Oktober, dem Beginn des Kriegs im Gazastreifen, noch einmal deutlich erhöht, so Adi Carmi, ein früherer Geheimdienstoffizier dem israelischen Fernsehsender Channel 11:

"Seit Beginn des Gazakrieges sehen wir mehr Aktivität, Anschläge zu verüben. Die Armee und der Geheimdienst haben bisher über 1.000 Anschläge verhindert. Die Iraner bringen Geld, Waffen und Sprengsätze in die Westbank. Truppen der Armee, die bereits in Dschenin und Tulkarem im Einsatz waren, sind bereits auf diese Sprengsätze, die gegen sie eingesetzt wurden, gestoßen."

Der Einsatz dauert weiter an - über die Zahl der eingesetzten Truppen wollte Israels Armee keine Angaben machen. Die Zahl der Toten und Verletzten könnte in den nächsten Stunden noch steigen - ebenso die Zahl der Festnahmen. Ehab Al-Damire, ein Reporter des Senders "Voice of Palestine" berichtet von abgeriegelten Vierteln: "In diesen Stunden hat die Besatzungsarmee das Nur Shams-Lager belagert. Sie haben Scharfschützen postiert und verhindert, dass Leute rein- und rauskommen. Sie haben Häuser gestürmt und Leute festgenommen, zwei Leute auch am Rande des Lagers."

Auch Krankenhäuser werden kontrolliert

Und: Es werden bei dem Einsatz auch Krankenhäuser belagert. Militärexperte Kadosh sagt über die Hintergründe: "Zurzeit werden vier Krankenhäuser belagert. Zwei in Dschenin und zwei in Tulkarem. Krankenwagen und Kranke können nur nach einer Kontrolle in die Krankenhäuser. Auch hier wurden Lehren gezogen, denn bei allen vorherigen Einsätzen sind die Terroristen gleich in die Krankenhäuser verschwunden."

Israels Außenminister Israel Katz schrieb auf der Plattform X, die Armee solle, analog zum Krieg im Gazastreifen, Evakuierungsanordnungen erlassen, um die Terrorinfrastruktur in Dschenin und Tulkarem zu zerschlagen. Nach Armeeangaben gibt es aber bisher keine Evakuierungen.

Seit dem 7. Oktober sind im besetzten Westjordanland letzten Angaben zufolge 15 Israelis getötet worden. Im gleichen Zeitraum starben nach palästinensischen Angaben mehr als 650 Palästinenser, darunter bewaffnete Kämpfer aber auch zahlreiche Zivilisten. Sie starben durch israelische Sicherheitskräfte, bei eigenen Anschlägen und durch Gewalt durch radikale jüdische Siedler.

Warnung vor Sprengsätzen

Militärexperte Kadosh warnt vor der Terrorgefahr aus dem Westjordanland, das er Judäa und Samaria nennt, nicht nur dort, sondern auch im israelischen Kernland: "Der Terror in Judäa und Samaria ist größer geworden", sagt er. Erst gestern seien drei Sprengsätze nur einige Meter von einer Schule entfernt explodiert. Von diesen Gegenden, vor allem aus Tulkarem, gehe eine reelle Gefahr aus. "Hier geht es vor allem um die Sprengsätze", so Kadosh weiter. "Wir sahen den Sprengsatz in Tel Aviv, der explodierte. Die Armee möchte nicht den nächsten Sprengsatz abwarten, der in einem Bus explodieren wird".

Auch im Westjordanland ist die Lage seit dem 7. Oktober äußerst angespannt - der israelische Militäreinsatz in dem besetzten Gebiet soll noch weitergehen.

Jan-Christoph Kitzler, ARD Tel Aviv, tagesschau, 28.08.2024 13:53 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 28. August 2024 um 16:10 Uhr.