Mitglieder einer Rebellenarmee in Myanmars Shan-Staat.

Myanmar Ende des Regimes oder kein Ende der Kämpfe?

Stand: 27.07.2024 06:58 Uhr

Mittlerweile hat die Militärjunta weniger als die Hälfte Myanmars unter Kontrolle. Die verschiedenen Rebellengruppen kämpfen zunehmend gemeinsam gegen das brutale Regime. Aber haben sie auch eine Chance, es zu besiegen?

Der 63-jährige Kyaw Paing zeigt auf zerstörte Wohnhäuser und ausgebrannte Autos. Sieben Menschen, darunter Kinder, seien bei dem Luftangriff des Militärs getötet worden. Kyaw Paing wohnt im Norden Myanmars, im Shan-Staat, der an China grenzt. In der Region fliegt das Militär gerade verstärkt Luftangriffe gegen die eigene Zivilbevölkerung.

Der Grund: Bewaffnete ethnische Minderheiten und pro-demokratische Widerstandskämpfer erobern hier gemeinsam immer mehr Gebiete des Militärs - wichtige Handelsstraßen, Grenzübergänge und Städte.

Kontrollverlust in mehr als der Hälfte des Landes

Auch an den Grenzen zu Indien, Thailand und Bangladesch verliert das Militär an Boden. Je nach Schätzung hat die Militärregierung die Kontrolle über 50 bis 75 Prozent des Landes verloren - besonders über die ländlichen Gebiete. Weiterhin das Sagen hat das Militär in der Hauptstadt und den Großstädten.

Je erfolgreicher die Rebellen sind, umso skrupelloser scheint das Militär zu reagieren. Die Luftangriffe sollen gezielt auch zivile Infrastruktur treffen, Schulen, Krankenhäuser und Klöster.

"Es geht darum, den Widerstandswillen der Bevölkerung zu brechen und auch einfach zu bestrafen", sagt Politikwissenschaftler David Brenner von der Universität von Sussex. Er verfolgt die Lage im Land seit Jahren und war immer wieder in Myanmar. Das Militär stehe so geschwächt da wie nie, seit es sich im Februar 2021 an die Macht geputscht hat.

Willkürlich Angriffe und Folter

Zuerst protestierte die Bevölkerung friedlich gegen die Absetzung der mit großer Mehrheit gewählten Regierung von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, inzwischen greifen immer mehr Menschen zu den Waffen. Denn der Hass auf das brutale Militär wächst mit jeder Attacke auf die Zivilbevölkerung.

Immer wieder gebe es willkürliche Angriffe, Folter, Enthauptungen, sagte erst kürzlich der Hohe Kommissar für Menschenrechte bei den Vereinten Nationen, Volker Türk: "Drohnenangriffe um Mitternacht, sie brennen Häuser nieder, während die Menschen schlafen. Menschen werden erschossen, während sie um ihr Leben rennen."

Regimegegner können eroberte Gebiete halten

Mittlerweile wird fast im ganzen Land gekämpft. Dass die Gegner des Militärs die eroberten Gebiete inzwischen über Monate halten können, überrascht selbst langjährige Beobachterinnen und Beobachter. Schließlich sind die Rebellengruppen dem Militär in Bezug auf Waffen und Ausstattung weit unterlegen.

"Aber es geht dieses Mal nicht so sehr um Feuerkraft, es geht um Zusammenarbeit. Das ist es, womit sie das Militär besiegen", sagt die amerikanische Sicherheitsexpertin Miemie Winn Byrd.

Seite an Seite gegen das Regime

In Myanmar gibt es viele ethnische Minderheiten. Einige von ihnen kämpfen seit mehr als 70 Jahren gegen das Militär. Aber eines sei dieses Mal anders: "Es ist das erste Mal in der Geschichte Myanmars, dass alle diese Gruppen Seite an Seite gegen einen gemeinsamen Feind kämpfen", erklärt Byrd.

Die kampferprobten ethnischen Minderheiten an den Grenzen bilden zudem junge Menschen aus den Städten aus, die erst seit dem Militärputsch zu den Waffen gegriffen haben. Die im Februar verkündete Zwangsrekrutierung des Militärs hat den Widerstand noch weiter gestärkt, beobachtet Politikwissenschaftler Brenner. "Weil die jungen Menschen sagen: "Wenn ich jetzt sowieso kämpfen soll, dann kämpfe ich lieber für den Widerstand als für dieses verhasste Militär, das mich sowieso nur als Kanonenfutter benutzen will."

"Militär verrottet von innen"

Laut Sicherheitsexpertin Byrd steht das Militär am Rande des Zusammenbruchs. "Und das liegt nicht so sehr an den Kämpfern der bewaffneten ethnischen Minderheiten und anderen Oppositionskräfte. Sondern das Militär verrottet von innen."

Eine veraltete Militärstrategie und die Folgen langjähriger Korruption würden nun sichtbar, meint Byrd. Kriegsschiffe seien schlecht gebaut, weil am Metall gespart wurde. Verpflegung und Ausrüstung erreichten die Soldaten nicht, sondern landeten in den Bäuchen und Taschen ihrer Vorgesetzten. Die Soldaten seien schlecht ausgebildet und hätten keine Kampfmoral.

Regime mit Unterstützung aus China und Russland

Ganz anders ihre Gegner, die immer weiter vorrücken. "Ihre Dialogbereitbereitschaft, ihre Kooperation und Kameradschaft, die sie entwickelt haben, wird sie weit dabei bringen, den Krieg zu gewinnen und ein friedliches Myanmar aufzubauen", sagt Byrd.

Brenner ist da skeptischer. Er glaube nicht, dass das Militär militärisch besiegt werden kann, dass es eine Entscheidung "auf dem Schlachtfeld" geben werde. Die einzelnen Gruppen hätten zu unterschiedliche Interessen. Einigen ginge es nur um ihre Autonomie und nicht um den Aufbau eines föderalen und demokratischen Staates.

Ein Ende der Kämpfe sieht er nicht in Sicht. Auch wegen mangelnder Unterstützung aus dem Westen. Die Militärjunta hingegen wird militärisch von Russland und politisch zudem von China unterstützt.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 25. Juli 2024 um 11:11 Uhr.