Wallfahrt nach Bethlehem "Kein schönes Weihnachten, aber ein echtes"
In der Weihnachtsnacht haben sich Mönche mit einer Schriftrolle mit mehr als 100.000 Namen auf den Weg von Jerusalem nach Bethlehem gemacht. Eine Tradition, die trotz des Krieges weiterlebt - und durch ihn neue Bedeutung erfährt.
Am Ende eines langen Weges hält Nikodemus Schnabel inne. Das Haupt gesenkt, kniet der Benediktiner-Abt im schwarzen Habit auf dem kalten Marmor in der Geburtsgrotte in Bethlehem, über ihm Fresken und Stoffe in Gold und Blau. Kerzen umgeben den Stern auf dem Boden, der die Stelle markiert, wo Jesus der Überlieferung nach geboren wurde. Darüber ausgerollt: eine lange Schriftrolle mit mehr als 100.000 Namen.
Diese Rolle haben Schnabel und seine Ordensbrüder der deutschsprachigen Dormitio-Abtei in Jerusalem durch die Weihnachtsnacht getragen. Begleitet von Pilgern, auf dem Weg vom Zionsberg nach Bethlehem. Nach der Mitternachtsmesse sind sie losgewandert. Zehn Kilometer etwa, zu Fuß in der kalten und dunklen Nacht ins Westjordanland, bis zur Geburtskirche in die Höhle, in der Jesus Christus geboren worden sein soll.
"Da soll sich jetzt mal Jesus drum kümmern"
Menschen aus der ganzen Welt haben ihnen die Namen mit auf den Weg gegeben. Sie alle würden ins Gebet eingeschlossen, sagt Schnabel. "Es gibt Menschen, die sagen: Das sind Verstorbene, die ich vermisse. Oder Menschen, die ich liebe." Etwa, wenn Verwandte schwer erkrankten. "Aber auch - und das ist durchaus etwas Christliches - diesen Arbeitskollegen, den ich nicht ausstehen kann, aber ich kann ihn auf diese Rolle schreiben. Nach dem Motto: Da soll sich jetzt mal Jesus drum kümmern."
Es ist eine Tradition, die die Mönche der Dormitio-Abtei seit vielen Jahren pflegen. Doch jetzt, in Zeiten des Krieges, scheine sie noch an Bedeutung gewonnen zu haben, sagt Schnabel. Die Zahl der Namen sei in den vergangenen Jahren stetig angewachsen. Anfangs seien die Namen noch handschriftlich erfasst worden. Inzwischen aber werde das Papier beidseitig bedruckt, um das mehrere Kilogramm schwere Gewicht den langen Weg überhaupt noch tragen zu können.
Benediktinermönche aus Jerusalem: Die Wallfahrt nach Bethlehem hat Tradition.
Gespenstische Stille und gute Gespräche
Es ist ein beschwerlicher Weg, von dem die Teilnehmenden später berichten. Er führt direkt an der Straße entlang und bisweilen über Stock und Stein. Genau die Straßen, stolprigen Steine und Schlaglöcher, die kalte und dunkle Nacht machten es doch aus, sagt Marie Chowanietz, die mit den Mönchen mitgelaufen ist. "Ähnlich muss es Maria und Josef auch gegangen sein", glaubt sie. "Kein schönes Weihnachten, aber ein echtes."
Rund 70 Menschen haben sich in dieser Heiligen Nacht auf den Weg gemacht. "Verglichen mit Friedenszeiten, wo wir 300 sind, wenig. Aber angesichts der Situation, in der wir leben, war es eine Überraschung", sagt Schnabel.
Der Weg sei leer wie nie gewesen. Verkehr habe es kaum gegeben. "Förmlich gespenstisch", sagt der Abt. Als sie den Checkpoint ins von Israel besetzte Westjordanland querten, seien sie ganz allein gewesen, nicht einmal Taxis hätten gewartet. In der Gruppe selbst habe es Gebete und gute Gespräche gegeben. Nur den letzten Teil in der Sternstraße bis zur Kirche schweigen alle. In den Straßen kommt ihnen nur ein streunender Hund entgegen.
Weihnachtsschmuck, große Beleuchtung, all das gibt es in diesem zweiten Kriegsjahr in Bethlehem nicht. Den Palästinensern im Westjordanland ist angesichts von mehr als 14 Monaten Krieg, Hungern und Sterben im Gazastreifen nicht nach Feiern zumute.
Gebete für Geiseln und Palästinenser
Dafür haben die Zuschriften zugenommen. Auch die Namen der israelischen Geiseln in der Gewalt der Hamas oder die von getöteten Palästinensern im Gazastreifen sind auf der Liste. Ebenso aber auch solche, bei denen die Mönche nicht schlecht staunten: der des getöteten Hisbollah-Anführers Hassan Nasrallah etwa oder des gestürzten Syrien-Diktators Baschar al-Assad, auch der russische Präsident Wladimir Putin.
"Fast jeder Präsident der Welt, Päpste, viele Prominente", sagt Schnabel. "Ich bin mir sicher, dass Benjamin Netanjahu und andere auch darauf stehen. Im Sinne der Feindesliebe und auch in dem Sinne, dass man für die Bekehrung ihres Herzens betet."
Am Weihnachtsmorgen spricht der Abt von einer "intensiven Nacht". Sie habe etwas Hoffnung gespendet und ihn dankbar gemacht - vor allem wegen eines Moments am Morgen.
Angekommen nach einer "intensiven Nacht": die Schriftrolle in Bethlehem.
Etwas Weihnachtsstimmung in der Kirche
Es ist der Vergleich mit dem Vorjahr, mit der ersten Weihnacht nach Beginn des Krieges: "Berührend war für mich, wer dann in der Basilika war", sagt er. "Eine Gruppe mehrerer Hundert Inderinnen und Inder, die um fünf Uhr morgens dort ihren Ritus gefeiert haben." Im vergangenen Jahr sei die Gruppe aus Jerusalem noch in eine komplett leere Geburtskirche gekommen.
Stattdessen, nach der stillen Stadt, nun all die Menschen. Bis dahin habe er das Gefühl gehabt, dass niemand feiern würde, sagt Schnabel. "Aber selbst in diesem Krieg, diesem Ozean von Leid, dem leeren Bethlehem, da war am Geburtsort auf einmal Leben." Ein paar Männer aus der Stadt hätten den Gästen auch heißen Kaffee angeboten. "Und mitten in dieser Früh war dann doch etwas Weihnachtsstimmung.“