Politikwissenschaftler zu Iran "Die Situation war noch nie so angespannt"
Die Gefahr eines umfassenden Krieges ist so groß wie seit Jahren nicht mehr, sagt der Politikwissenschaftler Busse. Er rechnet mit einem israelischen Gegenschlag in den nächsten Tagen. Die Frage sei, wie groß dieser ausfalle.
tagesschau24: Israels Premierminister Netanyahu hat einen Gegenschlag gegen den Iran angekündigt. Teheran wiederum hat eine Reaktion auf diesen möglichen Gegenschlag angedroht. Steht der Nahe Osten vor einem größeren Krieg?
Jan Busse: Wir blicken auf jeden Fall einer hohen Eskalationsgefahr ins Auge. Die Situation war nie so angespannt in den letzten Monaten oder gar Jahren. Das heißt, die Gefahr, dass es zu einem großen Krieg kommen könnte, in den womöglich auch die USA mit hineingezogen werden könnten, halte ich momentan für verhältnismäßig groß.
Dr. Jan Busse ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität der Bundeswehr in München. In seiner Forschung befasst er sich mit Internationalen Beziehungen und Theorien globaler Ordnungsbildung. Sein regionaler Schwerpunkt liegt auf politischen und gesellschaftlichen Dynamiken des Nahen Ostens und Nordafrika, insbesondere Israel und Palästina.
tagesschau24: Israel und der Iran sind keine direkten Nachbarländer. Dazwischen liegen beispielsweise der Irak, Syrien und Jordanien. Besteht die Gefahr, dass diese Länder in einen möglichen Konflikt hineingezogen werden?
Busse: Unmittelbar nicht, aber indirekt. Jordanien war beteiligt an dem Abfang der iranischen ballistischen Raketen. Gleichzeitig gibt es in Syrien und im Irak schiitische Milizen, die mit dem Iran im Rahmen der selbsternannten "Achse des Widerstandes" verbündet sind. Aber ich sehe da keine unmittelbare Involvierung dieser Akteure. Wenn es zu einer Konfrontation zwischen Israel und dem Iran kommt, dann wird diese primär über Luftschläge erfolgen.
Gegenschlag innerhalb weniger Tage
tagesschau24: Was könnten denn mögliche Ziele sein, sollte Israel gegen den Iran vorgehen?
Busse: Das bleibt abzuwarten und ist natürlich ganz zentral dafür, ob sich danach die Eskalationsspirale weiter dreht. Es ist steht im Raum, dass Israel die Ölanlagen bombardieren könnte oder sogar die Atomanlagen. Und beides wäre sicherlich etwas, auf das der Iran sich genötigt sehen würde, ebenfalls wieder zu reagieren.
tagesschau24: Wie schnell könnte Israel denn seinen Gegenschlag jetzt ausüben?
Busse: In der Vergangenheit war es häufig so, dass es eine sofortige Reaktion der Israelis gab. Das ist jetzt in diesem Fall nicht so und es ist zu hoffen, dass das dafür spricht, dass noch mal abgewogen wird, was für eine Gefahr in einer solchen Reaktion steckt. Aber ich gehe davon aus, dass es eine Frage von wenigen Tagen ist.
Hisbollah will langen Abnutzungskrieg
tagesschau24: Israel hat ja mehrere Konfliktherde: Die Terrororganisation Hamas im Gazastreifen, die radikal-islamische Hisbollah-Miliz im Libanon, die Huthi im Jemen und jetzt noch der Iran. Wie lange kann das israelische Militär diese Feinde noch abwehren?
Busse: Also ich halte die Hamas momentan für keine substanzielle militärische Bedrohung mehr für Israel. Die Situation im Gazastreifen ist ja auch in der Berichterstattung massiv in den Hintergrund gerückt. Die Huthi scheinen auch einigermaßen in Schach gehalten zu werden. Das heißt, die größte Herausforderung besteht aus meiner Sicht in dem Krieg gegen die Hisbollah und in der Bodeninvasion, die wir dort gerade sehen.
Da ist die Frage, ob die tatsächlich so begrenzt sein kann, wie sich Israel das wünscht, sowohl was die zeitliche Dauer angeht, als auch die geografische Ausweitung. Ich glaube, dass die Hisbollah ein Interesse daran hat, Israel in einen längeren, zermürbenden Krieg hineinzuziehen, der irgendwann auch Auswirkungen auf die wirtschaftliche Situation in Israel hat. Denn Israel hat eine Reservistenarmee. Und schon durch den Gazakrieg wurden Hunderttausende Menschen von ihren Arbeitsplätzen entfernt und konnten nicht ihrer Arbeit nachgehen.
Schwache US-Regierung mit begrenztem Einfluss auf Israel
tagesschau24: Israel hat ja die USA als großen Verbündeten an seiner Seite. Wie sieht es beim Iran aus? Auf wen kann Teheran zählen?
Busse: Also einen vergleichbaren Verbündeten hat der Iran sicherlich nicht. Es steht ja in Aussicht, dass die USA sich in einem Krieg an die Seite Israels stellen würden. Auch gestern haben sie eine wichtige Rolle gespielt beim Abfangen der iranischen Raketen. Dass hätte Israel aus eigener Kraft - ähnlich wie im April - womöglich nicht geschafft.
Der Iran ist natürlich verbündet mit Russland, aber ich würde sagen, da ist die das Verhältnis eher momentan umgekehrt. Dass der Iran die Russen mit Waffen und vor allem mit diesen Kamikazedrohnen versorgt.
tagesschau24: Wie bereitet sich die Bundeswehr auf mögliche Einsätze, wie auch immer die ausfallen können, vor? Gibt es da einen Krisenplan? Es wurden ja auch schon Botschaftsangehörige beispielsweise ausgeflogen.
Busse: Ja, es gibt selbstverständlich Krisenpläne. Es geht dann ja auch darum, eventuell deutsche Staatsangehörige auszufliegen. Ich bin mir sicher, dass sich darauf vorbereitet wird, aber ich sehe ansonsten keine unmittelbare Involvierung der Bundeswehr vor Ort.
Hoffen auf den Selbsterhaltungstrieb
tagesschau24: Sehen Sie irgendeinen Ansatz, irgendeine Möglichkeit, wie im Nahen Osten Frieden einkehren kann?
Busse: Momentan stimmt die Lage einen sicherlich sehr pessimistisch. Ich denke, dass es auf iranischer Seite schon einen Selbsterhaltungstrieb gibt, der dafür sorgt, dass dieses Regime es nicht weiter eskalieren sollte. Und auf israelischer Seite denke ich, sind es die USA, die maßgeblich Einfluss nehmen könnten.
Auf der anderen Seite befinden sie sich im Wahlkampf. Und dann gibt es eine Übergangsperiode nach der Präsidentschaftswahl im November. Also wir haben es eigentlich mit einer relativ schwachen US-Administration zu tun - und das stimmt mich nicht unbedingt hoffnungsvoll, dass da wirklich Einfluss ausgeübt wird, der auch dafür sorgen könnte, Israel zu mäßigen.
Das Gespräch führte Carl-Georg Salzwedel.