Benjamin Netanyahu

Nach Urteil in Den Haag Scharfe Kritik an Haftbefehl gegen Netanyahu

Stand: 22.11.2024 00:56 Uhr

Der Internationale Strafgerichtshof hat Haftbefehle gegen den israelischen Premier Netanyahu, Ex-Verteidigungsminister Gallant und den Hamas-Anführer Deif erlassen. Israel reagiert harsch. Auch die USA verurteilten die Entscheidung.

Die israelische Regierung hat mit harschen Worten auf die Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) reagiert, gegen Premier Netanyahu und den früheren Verteidigungsminister Gallant Haftbefehle auszustellen. In einer Erklärung aus dem Büro Netanyahus hieß es, Israel weise "die absurden und falschen Anschuldigungen mit Abscheu" zurück.

Netanyahu und Gallant stehen dem Haftbefehl zufolge unter dem Verdacht, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Gazastreifen verübt zu haben. Der Antrag dazu war bereits im Mai gestellt worden. So gebe es demzufolge ausreichende Gründe für die Annahme, dass die beiden "absichtlich und wissentlich der Zivilbevölkerung im Gazastreifen wesentliche Dinge für ihr Überleben einschließlich Nahrung, Wasser sowie Medikamente und medizinische Hilfsmittel sowie Brennstoffe und Strom vorenthalten haben".

Sophie von der Tann, ARD Tel Aviv, über Reaktionen aus Israel auf den Haftbefehl gegen Netanyahu

tagesthemen, 21.11.2024 22:15 Uhr

Herzog: "Dunkler Tag für die Menschheit"

Netanyahus Büro ließ verlauten, Israel werde bei der Verteidigung seiner Bürger "dem Druck nicht nachgeben". Der Strafgerichtshof sei ein voreingenommenes und diskriminierendes politisches Gremium. Israels Präsident Izchak Herzog schrieb auf X: "Dies ist ein dunkler Tag für die Justiz. Ein dunkler Tag für die Menschheit". Die Entscheidung mache die universelle Gerechtigkeit zu einer weltweiten Lachnummer.

Auch von Gallant gab es heftige Kritik: Den Haag schaffe "einen gefährlichen Präzedenzfall gegen das Recht auf Selbstverteidigung", schrieb Gallant beim Kurznachrichtendienst X. Sie stelle zudem den Staat Israel und die Anführer der Hamas auf eine Stufe und legitimiere die Taten der Terrormiliz. 

In israelischen Medien wird das Thema diskutiert, aber vergleichsweise zurückhaltend. Israel erkennt den Internationalen Strafgerichtshof nicht an und hat das sogenannte Römische Statut nicht unterschrieben, also den völkerrechtlichen Vertrag, der das Weltstrafgericht geschaffen hat.

Unterschiedliche Reaktionen aus dem Ausland

In der internationalen Staatengemeinschaft fallen die Reaktionen auf den Haftbefehl gemischt aus. Einige Länder begrüßen den Schritt, andere hingegen verurteilen ihn - oder halten sich vorerst zurück.

Unterstützung für Israel kam aus den USA: Präsident Joe Biden kritisierte die Entscheidung scharf. "Die Ausstellung von Haftbefehlen durch den IStGH gegen israelische Führer ist empörend", erklärte Biden. Es gebe "keine Gleichwertigkeit" zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas. 

Auch der Zentralrat der Juden in Deutschland übte scharfe Kritik an den Haftbefehlen und nannte sie eine Absurdität. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hingegen rief alle Mitgliedsländer auf, den internationalen Haftbefehl gegen Netanyahu und andere Verantwortliche zu achten - denn er sei rechtsverbindlich.

Die Niederlande ließen bereits verlauten, dass sie Netanyahu im Falle eines Besuchs verhaften würden. "Die Linie der Regierung ist klar. Wir sind dazu verpflichtet, mit dem IStGH zu kooperieren", sagte Außenminister Caspar Veldkamp auf eine Frage im Parlament. Der Strafgerichtshof hat seinen Sitz in den Niederlanden.

Frankreich unschlüssig über Vorgehen

Frankreichs Außenministerium hingegen will sich nach eigenen Angaben noch nicht festlegen, ob es in ihrem Land eine Festnahme geben würde. Die Frage sei rechtlich kompliziert, hieß es von einem Sprecher.

Die türkische Regierungspartei AKP hat die Haftbefehle gegen Netanyahu und Gallant begrüßt. Damit habe der IStGH ein Urteil zum Wohle der Menschheit gefällt, hieß es. Die Türkei zählt zu den heftigsten Kritikern des israelischen Militäreinsatzes im Gazastreifen. Die Regierung beantragte, einem Verfahren wegen des Vorwurfs des Völkermords gegen Israel vor dem Internationalen Gerichtshof beizutreten, das Südafrika angestrengt hat.

Jordanien kündigte an, die Entscheidung des Strafgerichtshofes zu respektieren und umzusetzen. Die Palästinenser verdienten demnach "Gerechtigkeit nach den israelischen Kriegsverbrechen im Gazastreifen".

Hamas: "Historischer Präzedenzfall"

Auch Hamas-Anführer Deif wird wegen möglicher Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gesucht. Er soll bei einem israelischen Bombenangriff im Gazastreifen getötet worden sein. Eine Hamas-Bestätigung für seinen Tod gab es jedoch nie.

Die Hamas bezeichnete die Haftbefehle gegen Netanyahu und Gallant als einen historischen Schritt. Die Entscheidung sei ein "wichtiger historischer Präzedenzfall und eine Korrektur eines langen Wegs historischer Ungerechtigkeit gegen unser Volk", teilte die Terrororganisation mit.

Mit Material von ARD-Korrespondent Julio Segador

Julio Segador, ARD Tel Aviv, tagesschau, 21.11.2024 18:38 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 21. November 2024 um 20:00 Uhr.