Strafgerichtshof ermittelt Baldiger Haftbefehl gegen Netanyahu?
Der Internationale Strafgerichtshof ermittelt gegen Israels Premier Netanyahu wegen möglicher Kriegsverbrechen. In der Regierung wächst die Sorge vor einem Haftbefehl.
Manchmal sind es kleine Meldungen, die zeigen, wie sehr hinter den Kulissen um eine Sache gerungen wird, und auch: Wie nervös jemand ist.
Am Freitag gab das Büro des Chefanklägers des Internationalen Strafgerichtshofes bekannt, dass man sich gegen jegliche Einflussnahme verwahre. Die Bemühungen, die Mitarbeiter des Internationalen Strafgerichtshofes - kurz ICC - zu behindern und einzuschüchtern, müssten sofort beendet werden.
Es wird mit harten Bandagen gerungen. Kein Wunder: Es geht schließlich auch darum, ob gegen Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu und andere israelische Politiker und Militärs Anklage wegen Kriegsverbrechen erhoben wird.
"Die Gesetze des Krieges müssen respektiert werden"
Wie genau diese Anklage aussehen könnte, ist unklar. Experten spekulieren darüber, dass der Chefankläger des Strafgerichtshofes, Karim Khan, möglicherweise den verringerten Zugang von Lebensmitteln in den Gazastreifen als Kriegsverbrechen werten könnte. Khan selbst lässt sich im Interview mit dem arabischen Sender Al Jazeera nicht in die Karten blicken.
"Die Gesetze des Krieges müssen respektiert werden", so Khan. "Sie dürfen nicht hohl ausgelegt werden. Sie dürfen nicht so interpretiert werden, dass wir sie nicht verstehen oder dass der Schutz, den die Genfer Konventionen den am stärksten Gefährdeten, nämlich Kindern, Frauen, Kranken oder Zivilisten bietet, dass dieser Schutz zunichte gemacht wird. Hier muss der volle Schutz ausgelegt werden."
Netanyahu wehrt sich gegen Vorwürfe
Bei etwa 35.000 Toten im Gazastreifen seit Beginn des Krieges - diese Zahlen veröffentlichen die Vereinten Nationen, darunter viele Tausend Zivilisten, kann von diesem Schutz kaum gesprochen werden. Was sicher an der Hamas liegt - sie missbraucht die Zivilbevölkerung als menschliche Schutzschilde. Was aber auch an der Kriegsführung Israels liege, kritisieren international viele.
Dagegen wehrt sich Israels Regierungschef Benjamin Netanyahu: "Sie wollen uns auf die Anklagebank setzen. Und zwar während wir uns gegen völkermörderische Terroristen und Regime verteidigen, insbesondere gegen den Iran, der offen an der Zerstörung des einzigen jüdischen Staates arbeitet", so Netanyahu. "Zum ersten Mal ist es so, dass einem demokratischen Land, das nach den Regeln des Krieges um sein Überleben kämpft, selbst Kriegsverbrechen vorgeworfen werden."
Sorge vor Haftbefehl gegen Netanyahu
In Israel selbst wächst innerhalb der Regierung die Sorge, dass gegen Premier Netanyahu ein internationaler Haftbefehl ausgestellt werden könnte. Zwar hat Israel die Statuten des ICC nicht unterzeichnet. Unterzeichnerstaaten - etwa Deutschland - wären dann aber verpflichtet, diese Personen festzunehmen und an den Gerichtshof zu überstellen, wenn sie sich auf das Hoheitsgebiet dieser Staaten begeben.
Und: Netanyahu wäre dann auf einer Stufe mit tatsächlichen oder mutmaßlichen Kriegsverbrechern wie Milosevic oder Putin. Gerade deshalb machen auch die USA Front gegen dieses Szenario. Die Sprecherin des Weißen Hauses, Karine Jean-Pierre, sagte: "Also für uns ist die Sache klar. Wir unterstützen die ICC-Untersuchung nicht. Wir glauben nicht, dass das Gericht zuständig ist."
Willkommene Gelegenheit für Netanyahu-Gegner
Für die Menschen in Israel ist das Thema bislang nicht zentral. Das könnte sich ändern, wenn wirklich Anklage erhoben würde. Für die Gegner Netanyahus wäre es eine willkommene Gelegenheit, den verhassten Dauer-Ministerpräsidenten, dem sie eklatantes Versagen am 7. Oktober vorwerfen, loszuwerden.
"Ich finde, er verdient es," sagt ein Mann. "Ich bin absolut dagegen, wie er dieses Land regiert. Aber ob ein internationaler Haftbefehl wirklich die richtige Lösung ist. Ich weiß es nicht."
Und eine Frau sagt: "Vielleicht schafft man auf diese Weise, was wir nicht geschafft haben. Ihn loszuwerden. Alle hier leiden unter ihm. Und das würde auch verhindern, dass Rafah angegriffen wird."
Auch gegen Hamas-Spitze wird ermittelt
Doch nicht nur Netanyahu steht im Fokus des Internationalen Strafgerichtshofes, sondern auch die Hamas-Vertreter. Vor allem die politische Spitze der Terrororganisation, die sich in Katar und im Libanon aufhält.
Eine Delegation von Angehörigen der Geiseln reiste kürzlich nach Den Haag, um eine Anklage gegen die Hamas-Spitze einzureichen. Udi Goren, dessen Cousin am 7.Oktober getötet wurde, ist einer der Initiatoren. Er hofft auf den ICC.
"Wir, die Angehörigen der Geiseln, wollen sicherstellen, dass die Welt handelt und dass ihre Freiheit ebenso eingeschränkt wird, wie unsere jetzt eingeschränkt wird", so Goren. "Und wir wollen sicherstellen, dass sie für ihre Verbrechen bezahlen. Verbrechen, die sie immer noch begehen, indem sie unsere Familien als Geiseln nehmen. Wir wollen, dass Haftbefehle gegen sie ausgesprochen werden, und dass dies Druck auf sie ausübt, damit sie die Geiseln freilassen."