Forderung nach Waffenruhe Israel in Aufregung über UN-Resolution
Der UN-Sicherheitsrat fordert eine sofortige Waffenruhe in Gaza. Die USA votierten nicht mit - dennoch hat Israels Premier Netanyahu eine Washington-Reise abgesagt. Seine Kritiker halten das für "Wahnsinn".
Israels Regierung hält nach dem UN-Votum im Weltsicherheitsrat an ihrem Kurs fest: Washington habe mit seiner Enthaltung im höchsten Gremium der Vereinten Nationen einen Fehler gemacht. Premierminister Benjamin Netanyahu sprach von einem "klaren Abschied" von der Position Washingtons im Sicherheitsrat seit Kriegsbeginn.
Außenminister Yisrael Katz schrieb auf dem Kurznachrichtendienst X: Man werde das Feuer nicht einstellen. Er setzte wörtlich hinzu: "Wir werden die Hamas zerstören und weiterkämpfen, bis die letzte Geisel nach Hause zurückgekehrt ist."
Minister Benny Gantz, der dem sogenannten Kriegskabinett angehört, sagte, das UN-Votum habe keine operative Bedeutung für Israel. So teilten die israelischen Streitkräfte am Morgen mit, die Luftwaffe habe über 60 Ziele im Gazastreifen angegriffen. Dabei seien unter anderem Tunnelanlagen sowie Gebäude zerstört worden, in denen sich Bewaffnete gefunden hätten. Rettungskräfte in Rafah meldeten nach Angaben der israelischen Tageszeitung "Ha'aretz", bei einem Luftangriff sei ein Wohnhaus getroffen worden, in dem sich drei Familien aufgehalten hätten. 18 Menschen seien getötet worden, darunter neun Kinder.
Empörung über Hamas-Forderungen
Die Kritik der israelischen Regierung an der Enthaltung der USA im Weltsicherheitsrat hält indes an: Die Haltung der Hamas sei gestärkt worden, sagte der israelische UN-Botschafter Gilad Erdan im israelischen Radio. Man sehe ja, was seit der Abstimmung geschehen sei: "Die Hamas hat Raketen auf die Städte Aschdod und Aschkelon abgefeuert und die Kompromisse zum vorliegenden Deal abgelehnt." Die Hamas begrüße sogar diese Abstimmung. Er hoffe, dass die USA verstehen würden, "dass sie damit einen Fehler gemacht haben könnten".
Damit bezog sich Israels UN-Botschafter auf die Ankündigung der Terrororganisation Hamas, an ihren Forderungen für eine Geiselfreilassung festzuhalten. Dazu zählt unter anderem der vollständige Abzug der israelischen Truppen aus Gaza und die Freilassung einer großen Anzahl palästinensischer Häftlinge aus israelischen Gefängnissen. Netanyahu nannte die Hamas-Forderungen am Vormittag "wahnhaft".
Baerbock fordert: "Keine Ausreden mehr"
Gestern gab es erstmals seit zwei Monaten wieder Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen auf die israelischen Städte Aschdod und Aschkelon. Außenminister Katz sagte vor seinem Gespräch mit Bundesaußenministerin Annalena Baerbock am Vormittag, die Enthaltung der USA im Sicherheitsrat habe die Freilassung der Geiseln erschwert.
Baerbock hatte sich im Verlauf ihrer zweitägigen Nahost-Reise mehrfach für deutlich mehr Hilfslieferungen an die palästinensische Bevölkerung des Gazastreifens sowie für die Freilassung der israelischen Geiseln aus den Händen der Hamas ausgesprochen. Am späten Montagabend hob sie nach einem Gespräch mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas in Ramallah diese beiden Punkte hervor: "Im Moment kann es keine Ausreden mehr geben. Die Menschen in Gaza brauchen dringend jeden Liter Wasser. Und die Familien in Israel brauchen dringend ihre geliebten Familienmitglieder zurück."
Israels Regierung teilte mit, dass sie ihre Unterhändler aus Doha abziehen werde, von wo aus zuletzt Vermittlungsbemühungen der USA, Ägyptens und Katars um eine Freilassung der israelischen Geiseln stattgefunden hatten.
Kritik an Netanyahus harscher Reaktion
In Israels Medien wird nach der harschen Reaktion des Premierministers auf die Enthaltung Washingtons im Sicherheitsrat Kritik an Netanyahu geübt. "Bündnis in der Krise" und "Ein öffentlicher Riss" titelten die großen Tageszeitungen "Yedioth Achronoth" und "Ma'ariv".
Die Entscheidung Netanyahus sei "Wahnsinn", die vorab angekündigte Reise einer Regierungsdelegation nach Washington zu stoppen, die mit der US-Regierung über die weitere Kriegsführung sprechen sollte, heißt es in "Ma’ariv". Er habe künstlich eine öffentliche Krise mit der US-Regierung herbeigeführt - aus innenpolitischen Gründen. Damit habe der Premier ablenken wollen vor einem Gesetzentwurf, der Israels Gesellschaft zutiefst spaltet: Bis heute muss das Kabinett eine Novelle des Wehrpflichtgesetzes vorlegen, das offenbar der religiös-orthodoxen Bevölkerung massive Vergünstigungen einräumen soll, zulasten der säkularen Bevölkerung.
Erfahrene Ex-Generäle wie der ehemalige Militärgeheimdienst-Chef Amos Yadlin halten von der öffentlichen Brüskierung Washingtons durch den Premierminister nichts. Die Entscheidung des UN-Sicherheitsrates sei nicht bindend, sei auch kein Aufruf zur Beendigung des Krieges, sondern vielmehr ein Aufruf zur Feuerpause bis zum Ende des islamischen Fastenmonats Ramadan. "Wäre ich Premierminister", sagte Yadlin im israelischen Fernsehsender Channel 12, "hätte ich die Entscheidung der UN begrüßt, die zur bedingungslosen Befreiung der Geiseln aufruft."
Stattdessen habe Netanyahu nein gesagt. "Wir sind schon wie die Palästinenser. Zu allem sagen wir nein." Israel müsse diese UN-Entscheidung vielmehr annehmen. Denn mit Joe Biden gebe es einen US-Präsidenten, "der uns als Letzter auf der Welt unterstützt".