Kreml nach dem Wagner-Aufstand Mit Propaganda Risse im System kitten
Der bewaffnete Aufstand am vergangenen Samstag hat, auch wenn er abgebrochen wurde, das System Putin angekratzt. Nun sollen mithilfe von Propaganda die Kratzer und Risse übertüncht werden.
Wieder und wieder strahlt das Staatsfernsehen die Reden des russischen Präsidenten aus: In Dauerschleife dankt er mal dem Sicherheitsapparat, mal dem Volk - für Solidarität, Standhaftigkeit und Patriotismus. "Gesellschaftliche Organisationen, Religionsgemeinschaften und führende politische Parteien haben klar und eindeutig Position bezogen für die Verfassungsordnung. Faktisch die ganze Gesellschaft", erläutert Wladimir Putin.
Es klingt, als hätten sich am vergangenen Samstag Tausende Bürgerinnen und Bürger den Wagner-Kämpfern entgegengestellt, Seite an Seite mit russischen Militärs und Sicherheitskräften. Angeführt von der Regierung, wie Premier Michail Mischustin betonte: "Die Mitglieder der Regierung waren alle an ihren Arbeitsplätzen. Sie haben unter der Führung des Präsidenten klar und abgestimmt gehandelt."
Starke Bilder vs. bohrende Fragen
Nach und nach wird die Erzählung des Kreml das überlagern, was tatsächlich zu beobachten war: Die Bilder aus Rostow am Don, wo sich junge Leute interessiert mit Wagner-Kämpfern unterhielten, die militärische Einrichtungen unter ihre Kontrolle gebracht hatten. Die Bilder von Baggern, die Autobahnen aufrissen, um den Vormarsch zu stoppen. Das Schweigen der politischen Führung des Landes, deren Krisensitzungen normalerweise in epischer Länge im Fernsehen gezeigt werden.
Der Fassungslosigkeit, den bohrenden Fragen, wie es sein könne, dass bewaffnete Kämpfer eines Putin-Vertrauten fast ungehindert auf Moskau zumarschieren können, werden nun starke Bilder und mächtige Worte entgegengesetzt.
Vor der prächtigen Kulisse des Kathedralenplatzes, dort, wo sich Zaren krönen ließen, rühmt Präsident Putin Vertreter seines Sicherheits- und Militärapparates für ihre Tapferkeit und ihr Heldentum. Unter ihnen auch Verteidigungsminister Sergej Schoigu, von dem am Wochenende nichts zu hören und nichts zu sehen war. "Sie alle haben die Verfassungsordnung, das Leben, die Sicherheit und Freiheit unserer Bürger verteidigt, unser Land vor Erschütterungen bewahrt. De facto - einen Bürgerkrieg gestoppt", führt Putin weiter aus.
Kritik als "leeres Gerede"
Es wird zugespitzt, dramatisiert. Und damit auch abgelenkt von Fragen, die sich aufdrängen: Warum der russische Präsident, der doch als unverzichtbarer Schiedsrichter zwischen rivalisierenden Machtzirkeln gilt, dem eskalierenden Streit zwischen dem Wagner-Chef und dem Verteidigungsminister nicht Einhalt gebot. Warum er, der Garant für Stabilität und Sicherheit, einem Aufständischen, dem er erst eine massive Strafe androht, wenige Stunden später Straffreiheit gewährt.
Fragen, die weder in den einschlägigen Talkshows, noch auf Kreml-nahen Kanälen gestellt werden. Wohl aber in sozialen Medien, die von Kreml-Kritikern meist aus dem Exil bespielt werden. Von "hyperemotionalen Pseudoexperten", wie Kreml-Sprecher Dmitri Peskow abfällig meint: "Das ist leeres Gerede."
Was zählt, ist allein die Linie, die der Kreml vorgegeben hat. Und die nun gebetsmühlenartig wiederholt werden wird. Schicht für Schicht werden mit passenden Aussagen, Interviews und Reportagen die Risse, die im Machtapparat sichtbar wurden, übertüncht. So wie im Frühling Schäden an Geländern und Bänken einfach überpinselt werden. Je tiefer der Riss, desto mehr Farbe. Ein trügerischer Schein.