Zerstörte Häuser in einem Vorort von Damaskus

Wiederaufbau in Syrien "Das sind wir unserem Land schuldig"

Stand: 16.12.2024 02:44 Uhr

Nach Jahren des Krieges wollen syrische Hilfsorganisationen von der Türkei aus den Aufbau ihrer Heimat voranbringen. Doch dort fehlt es an Geld und einer funktionierenden Verwaltung. Und noch eine weitere Hürde erschwert die Arbeit.

Von Tina Fuchs, ARD-Studio Istanbul

Das Ausmaß an Zerstörung in Syrien ist nahezu flächendeckend, mit wenigen Ausnahmen, sagt Tarek Al Ikhwan von der syrischen Hilfsorganisation IYD: In Homs beispielsweise - der Stadt aus der er komme - müssten 14 Viertel abgerissen werden, weil die Gebäude zerbombt worden und nicht mehr bewohnbar seien.

Doch wer soll das Land wieder aufbauen? 90 Prozent der Bevölkerung Syriens leben unter der Armutsgrenze. Viele sind seit Ausbruch des Krieges aus ihren Häusern geflohen und wohnen seit Jahren in Zeltlagern - angewiesen auf humanitäre Hilfe. Aus eigener Kraft können die Wenigsten ihr altes Zuhause wieder aufbauen.

Al Ikhwan sieht hier die neue Aufgabe der Hilfsorganisationen: "Wir müssen massenhaft neue, vorübergehende Unterkünfte errichten, die Infrastruktur wieder instandsetzen, damit die Menschen in ihre Heimatorte zurückkommen und sie dann wieder aufbauen können."

Monatseinkommen der Staatsbediensteten: 30 bis 50 Dollar

Doch wer wird dazu bereit sein? Die Wirtschaft ist zusammengebrochen. Das Monatseinkommen Staatsbediensteter lag zuletzt zwischen 30 und 50 Dollar. Gleichzeitig gehen die Preise für Lebensmittel durch die Decke.

Mohammad Nour ist 22 Jahre alt und arbeitet für die Hilfsorganisation Syrian Forum in Gaziantep an der türkisch-syrischen Grenze. Nachdem er 2015 aus Syrien geflohen war, absolvierte er in der Türkei ein Studium zur Infrastrukturplanung - in der Hoffnung, eines Tages dabei zu sein, wenn seine Heimat wieder aufgebaut wird. Jetzt könnte es eigentlich soweit sein.

"Wir haben Ingenieure, Ärzte, Wissenschaftler. Wir haben keinen Mangel an guten Leuten", sagt Nour. "Was wir brauchen, ist ein effizientes System, eine stabile Verwaltung, um diese Menschen gezielt einzusetzen und das Land wieder groß zu machen."

Und es gibt ein weiteres unmittelbares Problem: Der junge Ingenieur Nour hat - wie viele in der südosttürkischen Metropole Gaziantep - die türkische und die syrische Staatsbürgerschaft. Sein Spezialgebiet ist Wasserversorgung. Würde er für ein Bauprojekt nach Syrien einreisen, dürfte er nicht mehr zurück in die Türkei. Der fehlende Grenzverkehr für einfache Ein- und Ausreisen ist ein massives Hindernis. 

Wer also soll in das kriegszerstörte Land kommen? Die Vorarbeit der Hilfsorganisationen ist dringend notwendig, aber nicht sicher. Bisher war es den NGOs aus Gaziantep nicht erlaubt, in den von Machthaber Assad kontrollierten Gebieten zu arbeiten, also dem größten Teil des Landes. Dort müssen sie erst ein Netzwerk aufbauen. Und dafür brauchen sie Geld. Wird die Förderung aber fortgesetzt, wenn die islamistische Gruppe HTS an der Macht bleibt?

Skepsis gegenüber neuen Machthabern

"Die Geberländer schauen genau hin. Wird die neue Regierung alle Syrerinnen und Syrer repräsentieren?", meint Tarek Al Ikhwan von der syrischen Hilfsorganisation IYD. "Das ist ihre Verantwortung, wie sie sich der Welt präsentiert. Denn wir werden Milliarden brauchen. Und wenn sie das nicht richtig macht, dann werden wir fallen gelassen." 

Ein Dilemma. Syrerinnen und Syrer, die einen so hohen Preis für die Befreiung ihres Landes von Diktator Assad gezahlt haben, wollen zurück in ihr Land, ist Al Ikhwan überzeugt:

Das habe ich meinem Team am Tag nach Assads Sturz gesagt - dass wir es unserem Land schuldig sind! Wir waren lange Jahre weg, haben gut gelebt, neue Fähigkeiten erworben, Netzwerke aufgebaut - jetzt haben wird die Pflicht und eine hohe Motivation, zurückzukehren und unser Land aufzubauen.

Aber die Hürden und Unsicherheiten sind hoch. Mindestens fünf Jahre werde es brauchen, schätzt er, bis erste Fabriken errichtet, Handel und Märkte ihren Betrieb wieder aufgenommen haben. Dann werde das Land in der Lage sein, auch Waren zu produzieren, exportieren und Dollar einzunehmen.

Aber selbst wenn das alles gut geht, werde der Wiederaufbau noch Jahrzehnte brauchen.

Tina Fuchs, ARD Istanbul, tagesschau, 15.12.2024 17:02 Uhr