Proteste in Belarus Verschwunden, verprügelt, tot gefunden
Während der Proteste in Belarus sind Dutzende Menschen verschwunden: Demonstranten, Journalisten, Wahlhelfer. Nun sind zwei von ihnen tot aufgefunden worden, andere bleiben vermisst. Das Innenministerium hat eine zynische Erklärung.
Die Gewaltexzesse des belarussischen Sicherheitsapparats nach dem Wahlsonntag am 9. August sind in der Landesgeschichte beispiellos - und brachten viele der 9,5 Millionen Einwohner erst dazu, sich den Protesten gegen Präsident Alexander Lukaschenko anzuschließen. Tausende Menschen wurden verhaftet, die meisten in Gefangenschaft schwer misshandelt - und von vielen fehlt noch immer jede Spur. Doch die Umstände, unter denen zwei zeitweise Verschwundene zuletzt aufgefunden worden, lassen Schlimmes befürchten.
Einer von ihnen ist der 28-jährige Demonstrant Nikita Kriwzow, der seit dem 12. August unauffindbar war - das letzte Mal geortet werden konnte sein Telefon bei einer Minsker Klinik. Zehn Tage später wurde er erhängt in einem Wald außerhalb Minsks aufgefunden - über den Zustand seiner Leiche gibt es widersprüchliche Angaben.
Am 19. August war der 29-jährige Direktor eines Militärmuseums in der Provinzstadt Waukawysk, Konstantin Schischmakow, tot in einem Fluss aufgefunden worden. Er hatte sich Berichten zufolge zuvor geweigert, ein manipuliertes Wahlprotokoll zu unterschreiben, und war an seinem ersten Arbeitstag nach der Wahl verschwunden. Noch am Abend des 15. Augsut hatte er "Radio Svoboda" zufolge seiner Frau am Telefon gesagt: "Ich kann hier nicht mehr arbeiten; ich gehe nach Hause" - kam dort aber nicht an.
Zuvor waren zwei unmittelbare Teilnehmer der Proteste bei den Demonstrationen getötet worden: Der 34-jährige Alexander Tarajkowskyj starb nach Angaben der Behörden, als ein Sprengsatz in seinen Händen explodierte - nach Angaben seiner Frau Alena Herman hatte seine Leiche aber keinerlei Verbrennungen, nur eine genähte Wunde an der Brust und einen großen Bluterguss. Ein weiterer Mann kam an einer schweren Kopfverletzung ums Leben, nachdem ein Polizeifahrzeug ihn angefahren hatte.
Ministerium: Vermisste teils "im Urlaub"
In Dutzenden anderen Fällen haben die Angehörigen noch immer keine Nachricht. In der Rubrik "Haben Sie diese Person gesehen?", die das belarussische Nachrichtenportal "tut.by" inzwischen eingerichtet hat, sind nach eigenen Angaben etwa 80 Suchanfragen eingegangen. Die Anzeigen, die die Such- und Rettungsorganisation "Angel" veröffentlicht, mehren sich täglich.
Das belarussische Innenministerium hat angesichts der vielen Vermisstenfälle eine Mitteilung veröffentlicht, der für viele Angehörige und Beobachter klingen mag wie Hohn. Man habe seit dem Wahltag Hunderte Benachrichtigungen von Menschen erhalten, die ihre Verwanden und Bekannten vermissten, heißt es auf der Webseite des Ministeriums - inzwischen seien sie bis auf einige Dutzend abgearbeitet und ließen folgende Rückschlüsse zu: einige verbüßten derzeit Haftstrafen, ein bedeutender Teil der Leute sei "zum Geldverdienen oder Urlaub ins Ausland" gefahren, ohne jemanden zu benachrichtigen, ein anderer Teil seien Menschen mit "asozialem Lebensstil". Die meisten Überprüften seien zeitweise festgenommen worden, aber inzwischen frei - und hätten "nicht schlecht gestaunt, dass jemand ihre Daten öffentlich zugänglich machte".
Unabhängige Nachrichtenportale blockiert
Erschwert wird die Suche nach Verschwundenen und den Zustand der Proteste durch die Repressionen gegen freie Berichterstattung: Während der Verhaftungswelle waren auch zahlreiche Journalisten aus Belarus und dem Ausland festgenommen worden - sie berichten nicht nur von Behinderung ihrer Arbeit, sondern auch von schweren Misshandlungen in Haft. Nach Angaben des belarussischen Journalistenverband BAJ wurden 36 von 72 festgenommenen Journalisten von Sicherheitskräften geschlagen und verletzt.
Nachdem Mitarbeiter staatlicher belarussischer Medien in Scharen den Dienst niederlegten, hat Lukaschenko eigenen Angaben zufolge ihre Arbeitskräfte durch Kollegen aus Russland ersetzt. Inzwischen sind in Belarus die meisten unabhängigen Nachrichtenportale blockiert worden - unter ihnen die Webseite des Senders "Belsat", "Radio Swoboda", aber auch die lokalen "Wizebsker Volksnachrichten" und das jugendnahe Portal "The Village".
Der Verband BAJ schrieb in einer Erklärung, die Blockierung entspreche einer indirekten Zensur und verletzte "nicht nur die Rechte von Journalisten und Medien, sondern schränken auch das verfassungsmäßige Recht der Bürger auf vollständige, zuverlässige und aktuelle Informationen ein". Der Verband forderte die Behörden auf, den Druck auf die Presse unverzüglich einzustellen und rief internationale Organisationen zur Unterstützung auf.