Impfkampagne in Pakistan Verzweifelter Kampf gegen Kinderlähmung
Durch Corona hat sich die Polio-Seuche in Pakistan ausgebreitet. Millionen Babys sind bedroht. Jetzt wollen Helfer Eltern von einer Impfung überzeugen - doch die sind oft misstrauisch.
Zum ersten Mal seit Beginn der Corona-Pandemie ist in Pakistan eine neue Impfkampagne gegen Kinderlähmung gestartet worden. Kleine Teams der Gesundheitsbehörden gehen in der Millionenstadt Karatschi von Haus zu Haus und klopfen an unzählige Türen. Rund 800.000 Kinder unter fünf Jahren sollen eine Schluckimpfung bekommen.
"Wir mussten die Polio-Impfkampagne wegen Corona einstellen, aber jetzt geht es wieder los", so der Sprecher der Stadtverwaltung von Karatschi, Mohammad Ghulam Mohuddin.
Um das Personal zu schützen, habe man es mit Schutzkleidung ausgestattet und alle Mitarbeiter geschult, damit sie ohne körperlichen Kontakt die Kinder impfen könnten.
In jedem Haus könnte jemand mit Corona wohnen
Rahila Israeel gehört zu den medizinischen Fachkräften der Polio-Impfkampagne: "Wir haben Masken bekommen und Desinfektionsmittel. Wenn wir zu einem Haus gehen, denken wir immer daran, dass dort jemand mit Corona wohnen könnte. Wir sind besonders vorsichtig."
Pakistan und Afghanistan sind die beiden einzigen Länder in Südasien, in denen Fälle von Polio-Infektionen verstärkt auftreten. Gesundheitsexperten der Vereinten Nationen befürchten, dass die Zahl der Kinderlähmungen durch den monatelangen Stopp des Impfprogramms wieder deutlich steigen könnte. Offiziell wurden allein in Pakistan in diesem Jahr bislang 60 neue Fälle bestätigt.
Doch nach Einschätzung der Experten könnte es Monate dauern, bis die Auswirkungen voll zum Tragen kommen. Ein Sprecher des Programms teilte mit, dass es allein in Pakistan knapp drei Millionen ungeimpfte Neugeborene gebe.
Pandemie hat Lieferwege unterbrochen
Stephane Dujarric, Sprecher von UN-Generalsekretär Antonio Guterres, sieht das mit Besorgnis: "Durch die Pandemie wurden Lieferwege für Impfstoffe unterbrochen. Das führt dazu, dass die Zahl der Kinder abgenommen hat, die lebensrettende Impfungen bekommen. Dadurch besteht die Gefahr, dass die Fortschritte, die wir in den vergangenen Jahren verzeichnet haben, zunichte gemacht werden könnten."
Dabei ist die Polio-Impfkampagne in Pakistan ohnehin gefährdet und musste in den vergangenen Jahren häufig unterbrochen werden. Das medizinische Personal, das durch die Dörfer fährt, um die Kinder zu impfen, wird immer wieder attackiert.
Religiöse Hardliner und militante Islamisten verbreiten Gerüchte und Verschwörungstheorien gegen die Impfkampagnen. Der Westen wolle die Muslime sterilisieren, heißt es. Medienberichten zufolge sind seit 2012 über 100 Ärzte und Krankenschwestern bei Impfaktionen getötet worden.
Verstärkt wurde der Impf-Widerstand der Islamisten nach der Tötung Osama bin Ladens vor neun Jahren. Der US-Geheimdienst CIA hatte bei der Suche nach dem Al-Kaida-Chef in der ostpakistanischen Stadt Abottabad eine Pseudo-Impfkampagne gestartet, um den Aufenthaltsort des seinerzeit meistgesuchten Terroristenchefs herauszufinden.
Deshalb klopft Helferin Komal Ali in Begleitung eines Polizisten in Karatschi an die Haustüren von Eltern mit kleinen Kindern. Sie erzählt von unterschiedlichen Erfahrungen: "Viele Leute wollen ihre Kinder impfen lassen, aber es gibt auch viele, die das nicht wollen. Wir versuchen sie mit Argumenten zu überzeugen. Dabei machen wir gute und schlechte Erfahrungen."
Ein Polizist hält in Karatschi Wache, während eine Gesundheitshelferin einem Kind einen Polioimpfstoff verabreicht.
Seuche wird durch unsauberes Wasser übertragen
Oft sind die Eltern dem Druck ihrer Umgebung ausgesetzt. Die junge Mutter Sarwat Jarbeen war aber fest entschlossen, ihr Kind durch eine Impfung zu schützen: "Als ich sagte, ich würde mein Kind impfen lassen, habe ich viel Widerstand bei meinen Nachbarn gespürt. Aber meine Familie stand hinter mir. Ich glaube, die Impfung ist wichtig, damit mein Kind keine Behinderung bekommt."
Gerade in Pakistan seien die Impfungen dringend notwendig, sagte Dr. Iqbal Memon von der pakistanischen Kampagne zur Eliminierung von Polio. Angesichts der hygienischen Zustände in vielen Städten und Dörfern könne sich die Seuche, die unter anderem durch verunreinigtes Wasser übertragen wird, leicht ausbreiten.
"In Entwicklungsländern wie Pakistan sind Infektionskrankheiten, die den Verdauungstrakt betreffen, sehr häufig", sagt der Arzt. Es gebe selten sauberes Wasser und kaum Toiletten. Memon sagt: "Wenn wir feststellen, dass Polioviren auftauchen, gehen alle roten Lampen an. Die Gefahr kann nur gebannt werden, wenn dann möglichst viele Kinder in der Umgebung sofort eine Schluckimpfung bekommen."
Pakistan hat im Kampf gegen Polio in den vergangenen Jahren große Anstrengungen unternommen. Die jetzt gestartete Impfkampagne soll bis Ende des Jahres auf das ganze Land ausgeweitet werden.