Deutsch-türkisches Gipfeltreffen in Berlin Merkel lässt Erdogan abblitzen
Deutlich hat der türkische Regierungschef Erdogan bei seinem Deutschlandbesuch um deutsche Unterstützung für den EU-Beitritt seines Landes geworben - doch die Kanzlerin reagierte kühl: Die Regierung betrachte die Verhandlungen nach wie vor "als einen ergebnisoffenen Prozess", sagte Merkel an der Seite ihres Amtskollegen.
Sollte sich der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan ein Signal von Angela Merkel in Sachen EU-Beitritt erhofft haben: Das hat er bekommen, nur kein Positives. Denn schon am Tag vor dem Gespräch mit der Bundeskanzlerin hatte die CDU den Entwurf für ihr Europawahlprogramm vorgestellt. Darin heißt es klipp und klar: "Wir sehen die strategische und wirtschaftliche Bedeutung der Türkei für Europa. Eine Vollmitgliedschaft der Türkei lehnen wir jedoch ab."
Die Ausgangslage für das Gespräch in Berlin war in der Hinsicht zumindest also klar. Danach sagte Merkel, sie könne sich zwar vorstellen, in den Beitrittsverhandlungen die Rechtsstaatskapitel aufzuschlagen. Aber einer EU-Vollmitgliedschaft stehe sie weiter skeptisch gegenüber: Sie persönlich habe einem Prozess zugestimmt, in dem Beitrittsverhandlungen stattfinden: "Aber dieser Prozess ist ergebnisoffen und er ist auch zeitlich nicht befristet", so Merkel.
"Die EU braucht die Türkei"
Kein Erfolg also für Erdogan. Dabei hatte er zuvor öffentlich noch einmal eindringlich dafür geworben. Erdogan sagte bei einer Rede vor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, die jüngsten Ereignisse in Syrien und Ägypten und der arabische Frühling hätten gezeigt, dass nicht die Türkei die EU brauche, sondern "dass die Europäische Union die Türkei ebenfalls braucht".
So deutlich wiederholte Erdogan das auf einer kurzen Pressekonferenz nach dem Gespräch mit der Kanzlerin nicht mehr. Er wies aber darauf hin, wie wichtig die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern mittlerweile seien. Im Syrien-Konflikt verlangte er mehr Unterstützung für sein Land und ein entschiedeneres Handeln der Staatengemeinschaft: "In einer Welt, in der 160.000 Menschen getötet werden - wie können die Menschen einfach zuschauen, als würden sie sich ein Fußballspiel anschauen?"
Russland und China warf Erdogan vor, den Weltsicherheitsrat zu blockieren. Die Kanzlerin betonte, man sei mit beiden Ländern im Gespräch, vor allem mit Russland: "Russland hat eine Schlüsselfunktion, das haben wir schon bei den Chemiewaffen gesehen."
Proteste vor dem Kanzleramt
Während die beiden Regierungschefs im Kanzleramt sprachen, gab es vor der Tür Proteste. Erdogan-Gegner demonstrierten am Brandenburger Tor gegen die mutmaßliche Verwicklung von Erdogans Partei AKP in eine Korruptionsaffäre. Etliche hatten Schuhkartons in der Hand. Der Hintergrund: Bei einem in die Korruptionsaffäre verwickelten Bankdirektor zu Hause wurden 4,4 Millionen Dollar in Schuhkartons gefunden.
Die Demonstranten kritisieren außerdem, Bürgerrechte und Meinungsfreiheit würden in der Türkei immer mehr eingeschränkt. Am Abend sprach Erdogan vor einigen Tausend seiner Landsleute, darunter viele Anhänger, im Berliner Tempodrom. Es war ein Wahlkampfauftritt, denn im August stehen in der Türkei Präsidentschaftswahlen an, an denen sich erstmals auch Türken beteiligen können, die im Ausland leben.