EU-Kommission Brüssel startet Strafverfahren gegen London
Ursula von der Leyen will in zwei Wochen ihr Amt als EU-Kommissionspräsidentin antreten. Doch das Team der Kommissare ist vor allem wegen Großbritannien immer noch nicht komplett. Deshalb geht die EU nun dagegen vor.
Ursula von der Leyen will sich auf keinen Fall von Boris Johnson ausbremsen lassen. Am 1. Dezember will sie ihren Job als EU-Kommissionspräsidentin antreten. Dafür wurde sie vom EU-Parlament gewählt - auch ohne, dass es einen britischen EU-Kommissar gibt. Den müsste es laut EU-Verträgen eigentlich geben, die Briten sind schließlich noch EU-Mitglied. Doch Boris Johnson weigert sich trotz mehrfacher schriftlicher Aufforderung durch von der Leyen, einen britischen Kandidaten oder eine Kandidatin zu benennen. Das Vereinigte Königreich habe in einem Brief klar gemacht, dass es in der von-der-Leyen-Kommission keinen neuen britischen Kommissar geben wird, betont eine Sprecherin.
Gleichzeitig hätten die Briten aber ganz klar betont, dass sie von der Leyen auf keinen Fall frustrieren und auf keinen Fall ihren Arbeitsbeginn als Kommissionspräsidentin verzögern wollten, heißt es von Seiten der zukünftigen EU-Kommission. "Wir können jetzt nicht vor den laufenden Kameras in eine Art juristisches Brainstorming eintreten", betont der Stab von der Leyens.
Vertragsverletzungsverfahren gegen Großbritannien
Inzwischen leitete die EU ein Vertragsverletzungsverfahren gegen London ein. Als "Hüterin der Verträge" habe die EU-Kommission in einem ersten Mahnschreiben an die britische Regierung klar gemacht, dass diese gegen EU-Recht verstoße, hieß es aus Brüssel. London habe nun bis zum 22. November - also nur eine Woche - Zeit, um die britische Position darzulegen. Lenkt Großbritannien nicht ein, kann das Verfahren bis zu einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof führen.
Mit diesem Schritt beweist von der Leyen, dass der britische Verstoß gegen das EU-Recht nicht ohne Konsequenzen bleibt. Und sie kann dennoch am 1. Dezember am bisherigen Schreibtisch von Jean-Claude Juncker Platz nehmen - vorausgesetzt, dass das EU-Parlament die Kommissare akzeptiert, die Ungarn, Rumänien und Frankreich vorgeschlagen haben.
Mit Personalvorschlag gescheitert
Alle drei Ländern scheiterten mit ihrem ersten Personalvorschlag. Ungarn tat sich heute auch mit seinem neuen Kandidaten für den Job des Erweiterungskommissars schwer. Ungarns bisheriger EU-Botschafter Oliver Varhelyi lobte die Osterweiterung der Union in vollen Tönen: Ein Traum sei 2004 für Ungarn wahr geworden, betonte der Orban-Vertraute. Und die Erweiterung dürfe auf keinen Fall gestoppt werden, forderte Ungarns Kandidat für das Amt des Erweiterungskommissars. Der Westbalkan, allen voran Nord-Mazedonien und Albanien, brauchten eine klare Beitrittsperspektive.
Doch zahlreiche EU-Abgeordnete bezweifeln, dass ausgerechnet ein bisheriger EU-Diplomat der Orban-Regierung der richtige Mann ist, um EU-Beitrittskandidaten auf deren Rechtsstaatlichkeit zu überprüfen. Ungarn verstößt schließlich selbst gegen Rechtsstaatsprinzipien der EU. Als Kommissar werde er ausschließlich die Linie der EU und der von-der-Leyen-Kommission vertreten, kündigte Ungarns Kandidat an. Doch das reicht dem EU-Parlament nicht.
Votum gegen Varhely
Über die Hälfte der zuständigen Ausschussmitglieder votierten heute gegen Varhelyi. Vor allem Sozialisten und Grüne sehen Klärungsbedarf. Ungarns Kandidat muss schriftliche Zusatzfragen beantworten. Sollte zum zweiten Mal ein Personalvorschlag Victor Orbans durchfallen, wird es eng für von der Leyen. Denn Ungarn und Polen gehören bisher zu ihren wichtigen Unterstützern. Ebenso wie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Auch dessen neuer Kandidat für den EU-Binnenmarkt Thierry Breton ist nicht unumstritten. Bis vor Kurzem leitete er Frankreichs IT-Riesen Atos. Er werde sich bei allen Gesetzesvorhaben heraushalten, die sein ehemaliges Unternehmen betreffen könnten, kündigte Breton an - als Zeichen seiner Loyalität zum von-der-Leyen-Team.
Trotz aller Vorbehalte stehen von der Leyens Chancen nicht schlecht, dass Ende November ihr neues Kommissionsteam durchgewinkt wird - und Junckers designierte Nachfolgerin am ersten Dezember tatsächlich in dessen Büro in der 13. Etage des Berlaymont einziehen kann.