EU-Gipfel Viel vor, wenig Zeit
Die Arbeitsmethoden verbessern, Flüchtlingspolitik harmonisieren, militärische Kooperation voranbringen - die EU hat sich einiges vorgenommen für ihren zweitägigen Gipfel. Doch die Agenda hält auch genügend strittige Punkte bereit.
Von Holger Romann, ARD-Studio Brüssel
Wegweisende Entscheidungen, wie sie EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker fordert, wird dieser Gipfel wohl nicht bringen. Dazu ist die Meinungsbildung noch zu diffus. Doch mit Fortschritten ist durchaus zu rechnen. Die Bundestagswahl, die der Grund für wochenlangen Stillstand waren, sind gelaufen - und die in Frankreich, den Niederlanden und Österreich auch. Doch das strategische Fenster, das Politiker gern bemühen, wenn es um den richtigen Zeitpunkt für Weichenstellungen geht, dürfte nicht ewig offenstehen. "Es ist an der Zeit, den nächsten Schritt zu machen, vom Nachdenken zum Handeln, von der Debatte zur Entscheidung", mahnt deshalb auch Juncker.
Kanzlerin Angela Merkel, mitten in den Sondierungen für Jamaika, hält sich mit eigenen Ideen zwar noch zurück. Grundsätzlich ist sie aber bereit, den Reformzug anzuschieben. Machbar wäre dies zusammen mit Juncker, vor allem aber mit dem neuen, ehrgeizigen Partner: dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der die EU, wie er sagt, neu gründen will. "Was die Vorschläge anbelangt, so gibt es ein hohes Maß an Übereinstimmung zwischen Deutschland und Frankreich", so Merkel.
Arbeitsmethoden verbessern
Über die Details einer deutsch-französischen Initiative werde noch zu reden sein, bremst Merkel allzu hochgesteckte Erwartungen. Sicher sei aus ihrer Sicht, dass Europa nicht stehenbleiben dürfe, sondern sich weiterentwickeln müsse - notfalls ohne Konsens aller 27 und in unterschiedlichem Tempo. Bei wichtigen Sachthemen erhofft sich die Kanzlerin mehr Effizienz und rät, sich aufs Machbare zu konzentrieren: "Wir werden von Donald Tusk, unserem Ratspräsidenten, einen Vorschlag hören, wie wir unsere Arbeitsmethoden verbessern können, um schneller Ergebnisse vorlegen zu können. Das gilt für viele Bereiche, wie die Migrations-, die Digital- oder die Verteidigungspolitik aber auch - dann in späterer Zeit - für die Wirtschafts- und Währungsunion."
Flüchtlingspolitik
Abgesehen vom letzten, mutmaßlich heikelsten Punkt des Arbeitsplans, den Tusk den Chefs präsentieren wird, will man einiges abhaken. Es gilt, vielen enttäuschten und misstrauischen Bürgern zu beweisen, dass die EU "liefern" kann. Weil etwa in Sachen Flüchtlingsverteilung lange nichts voranging, setzt man nun, neben mehr Außengrenzschutz, auf engere Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländern und das sogenannte "Resettlement".
Auf Vorschlag der Kommission wird ein neues, diesmal freiwilliges Programm zur legalen Umsiedlung direkt aus Drittstaaten aufgelegt. 50.000 Flüchtlinge aus Niger, Äthiopien oder dem Sudan sollen davon profitieren. Aufnahmewillige Mitgliedsstaaten werden finanziell unterstützt. Zugleich sollen abgelehnte Asylbewerber konsequenter abgeschoben werden. Geht es nach Macron, könnte demnächst eine echte europäische Asylbehörde die Abläufe "beschleunigen und harmonisieren".
Macron will eine europäische Asylbehörde.
Unabhängiger von USA werden
Punkten will man auch auf dem Feld Sicherheit und Verteidigung. Nach dem absehbaren Abschied der Briten wollen die übrigen Mitgliedsstaaten militärisch enger kooperieren. So soll zum Beispiel teure Ausrüstung gemeinsam beschafft und finanziert werden. Bei Auslandseinsätzen und im Bereich Krisenreaktion will man sich vom Verbündeten USA unabhängiger machen, ohne die NATO infrage zu stellen.
Grundlage ist die sogenannte "permanente strukturierte Zusammenarbeit" (PESCO). Dies ist ein Instrument im EU-Vertrag, das erstmals zur Anwendung kommt. "Das ist die klassische Zusammenarbeit, bei der nicht alle mitmachen, sondern bislang etwa 20 Mitgliedsstaaten", so Merkel. "Aber ich finde schon, dass wichtige Themen für alle offen sein sollten - aber nicht alle müssen mitmachen. Das haben wir jetzt gerade beispielsweise bei der europäischen Staatsanwaltschaft gesehen."
Strittige Punkte
Bei aller Aufbruchstimmung: Die Gipfelagenda hält auch strittige Punkte bereit. So wird mit Spannung beobachtet, wie Merkel und Co. mit den rebellischen Visegrad-Staaten Ungarn und Polen umgehen werden. Die Regierungen in Budapest und Warschau blockieren weiter beim wichtigen Thema Migration und entfernen sich immer mehr vom Rechtsstaatsprinzip.
Für Diskussionen sorgen dürfte schließlich auch der schwierige Nachbar Türkei und dessen Umgang mit den Menschenrechten. Wegen des autoritären Kurses von Präsident Recep Tayyip Erdogan würde Deutschland den EU-Beitrittsprozess gern dauerhaft auf Eis legen. Außer Österreich ist derzeit aber niemand bereit, diesen Weg mitzugehen.