Türkischer Präsident Erdogan Der Allgegenwärtige
Der türkische Präsident Erdogan hat in 20 Jahren an der Macht sein Land geprägt wie vor ihm nur Republikgründer Atatürk. Inzwischen spaltet er die Türkei mehr denn je, geht in die heutige Stichwahl aber als Favorit. Das hat viele Gründe.
Recep Tayyip Erdogan ist omnipräsent. Hört man türkische Nachrichten, kann es sein, dass sein Name in fast jeder Meldung mindestens einmal fällt. Vor dem ersten Wahlgang bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am 14. Mai war seine Präsenz in den Medien sogar so stark, dass eine internationale Wahlbeobachter-Delegation unter anderem deshalb von "unfairen Bedingungen" sprach.
Erdogan redet auf Schulfesten, bei Krankenhauseröffnungen bei Gedenkveranstaltungen und am Frauentag. Da zeigt er gerne auch mal seine charmante Seite. Das kommt auch bei den Frauen im Publikum an.
Manchmal hat man das Gefühl, Erdogan müsse ein Double haben, denn einer alleine kann all diese Termine gar nicht schaffen. Ein Anhänger formuliert das schwärmerisch - Erdogan könne sich doch nicht um alles kümmern, ein einziger Tayyip Erdogan reiche nicht, um alle Aufgaben zu erledigen.
Glühende Verehrer im Heimatort
Aber nicht nur die Frauen himmeln ihn an. Vor allem in Rize am Schwarzen Meer hat er glühende Verehrer. Dort kommt Erdogans Familie her.
Seine Fans in Rize überschlagen sich mit Lob - man liebe ihn "wirklich sehr", Gott möge ihm ein langes Leben schenken, sagt ein Mann - und: "So einen Mann findet die Türkei nicht wieder. Er ist nicht nur der Führer der Türkei, er kann die Welt führen. Und er ist ein Führer des Islam." Das müsse man anerkennen.
Abkehr vom Säkularismus
Erdogan hat in 20 Jahren an der Macht den strenggläubigen Türken wieder eine Stimme gegeben, das Kopftuch wieder in die Öffentlichkeit geholt. Jahrzehnte war es nahezu verpönt und an Schulen und Universitäten verboten.
Kein Wunder, dass ein Anhänger erklärt, Erdogan "schützt unsere geistigen Werte und trägt zur Entwicklung unseres Landes bei".
Die einen verehren ihn, die anderen kritisieren ihn. Erdogan spaltet. Der Istanbuler Islamwissenschaftler Ihsan Eliacik bestreitet, dass der Präsident islamische Werte verteidigt - "er missbraucht sie. Ich sehe in Erdogan eher einen Politiker, dem Macht, Geld und Vetternwirtschaft wichtiger sind als Gott und Religion." Erdogan wolle ein " Alleinherrscher sein" - und außerdem schreibe die Religion ein bescheidenes Leben vor. Erdogan aber lebe "in einem prunkvollen Palast".
Gemeint ist der Präsidentenpalast in Ankara. Den hat sich Erdogan vor ein paar Jahren bauen lassen, mit rund 1000 Zimmern.
Schwierige Beziehung zu Deutschland
In den Beziehungen zu Deutschland gab es 2017 einen Tiefpunkt. Einige deutsche Städte ließen türkische Politiker vor dem Verfassungsreferendum nicht auftreten.
Erdogan wetterte, Deutschland habe "mit Demokratie nichts mehr gemein", die gegenwärtige Praxis unterscheide sich "in nichts von den Praktiken der Nazi-Ära".
In Deutschland brauchen Amtsträger aus Nicht- EU-Ländern für öffentliche Auftritte seit 2017 eine Genehmigung, in den Monaten vor Wahlen dürfen sie gar nicht mehr auftreten. Die Bundesregierung hatte damals direkt auf Wahlkampfpläne von Erdogan reagiert. Das schränkte auch in diesem Jahr die Möglichkeiten seiner AKP ein, in Deutschland für sich und ihn zu werben. Dennoch holten Partei und Präsident im ersten Wahlgang hier die Mehrheit.
Seltene Steilvorlage
Erdogan ist ein erfahrener Wahlkämpfer, selten liefert er seinen Gegnern in seinen vielen Reden eine Steilvorlage, die sie gegen ihn nutzen können.
Im Wahlkampf für die Parlaments und Präsidentschaftswahlen 2018 unterlief ihm ein solcher Fehler allerdings doch. Vor Anhängern sagte er, er sei auf alle seine Posten vom Volk gewählt worden - als Bürgermeister Istanbuls, als Ministerpräsident und als Staatspräsident. Und wenn seine Gegner ihn auch noch so sehr stürzen wollten - er trete erst zurück , "wenn mein Volk eines Tages 'Tamam'", also: genug, sagen sollte.
Und seine Gegner sagten "Tamam", tausendfach in einer Internetkampagne. Er gewann die Wahl trotzdem.
In diesem Jahr muss Erdogan erstmals in eine Stichwahl, geht in die aber als Favorit - trotz im Wahlkampf deutlich gewordener gesundheitlicher Probleme, trotz der schweren Wirtschaftskrise in seinem Land und trotz der Kritik an den Behörden nach dem verheerenden Erdbeben. Noch einmal fünf Jahre im Präsidentenpalast - auch nach 20 Jahre an der Spitze der Türkei hat Erdogan noch lange nicht "genug".