EU-Gipfel zur Ukraine "Schnelle Hilfe, langes Beitrittsverfahren"
Mehr Geld, mehr Waffen und ein Bekenntnis, dass die Ukraine zur "europäischen Familie" gehöre: Der EU-Gipfel hat die Hoffnungen Kiews auf eine baldige Mitgliedschaft gedämpft. Uneinigkeit herrscht weiter bei Importen aus Russland.
Die 27 haben an einer großen Tafel im Herkulessaal des Versailler Schlosses diniert, aber sie hatten mutmaßlich wenig Muße, die prächtigen Deckengemälde zu bewundern. Vor dem Abendessen mussten die Staats- und Regierungschefs ihre Handys abgeben, um Vertraulichkeit zu wahren. Nichts sollte nach draußen dringen von der ernsten und emotional geführten Debatte über den Krieg und die Folgen.
Nach gut sechs Stunden erklärte EU-Ratschef Charles Michel am frühen Morgen: "Die Ukraine gehört zur europäischen Familie, und wir wollen alle Anstrengungen unternehmen, um die Verbindungen mit dem Land zu stärken."
Weitere 500 Millionen Euro für die Ukraine
So sagt die EU der Ukraine weitere finanzielle und humanitäre Unterstützung zu. "Wir werden die Menschen nicht alleine lassen", heißt es in der Gipfelerklärung. Nach Michels Worten soll es beispielsweise weitere 500 Millionen Euro für Waffen und Ausrüstung geben. Kiews Hoffnungen auf einen schnellen EU-Beitritt werden allerdings gedämpft. Ein Eilverfahren gibt es nicht, sagte der niederländische Regierungschef Mark Rutte: "Das ist jetzt im Prozess, und wir haben das beschleunigt. Aber das wird Monate, wenn nicht Jahre dauern, bis man etwas erreicht. Wir haben uns in der Nacht sehr darauf konzentriert, was wir kurzfristig tun können: Sanktionen, militärische und humanitäre Unterstützung."
Den Gesprächskanal offen halten
Ähnlich äußerte sich der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer: "Schnelle Hilfe, langes Beitrittsverfahren: Es braucht hier das Bekenntnis, das wir das unterstützen, aber gleichzeitig auch die Klarheit, dass das ein langer Prozess ist." Nehammer begrüßte grundsätzlich das Treffen des deutschen Altkanzlers Gerhard Schröder mit Russlands Präsident Wladimir Putin in Moskau: "Ich glaube, dass alle Möglichkeiten genutzt werden müssen, um Gesprächskanäle herzustellen. Man wird das dann bewerten müssen, wenn Schröder über Ergebnisse berichtet."
Bundeskanzler Olaf Scholz wollte Schröders Reise nicht kommentieren. Scholz hatte vor dem Gipfel zusammen mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mit Putin telefoniert. Macron sagte danach, er sei beunruhigt und pessimistisch: "Ich sehe in den nächsten Stunden oder Tagen keine diplomatische Lösung. Aber wir werden in den kommenden Tagen wieder mit Präsident Putin reden und sehen, ob sich auf der Gegenseite etwas bewegt."
Ein Importstopp für mehr Druck auf Putin?
Die Staats- und Regierungschefs sind sich grundsätzlich einig darin, dass sie ihre Abhängigkeit von Gas, Öl und Kohle aus Russland verringern wollen. Wie schnell, dabei gehen die Ansichten allerdings auseinander. Die Bundesregierung hält vorerst an russischen Energieimporten fest. Alternativen gebe es nicht von heute auf morgen, hat Kanzler Scholz erklärt. Das hält der lettische Regierungschef Krisjanis Karins nicht mehr für tragbar: "Ich bin überzeugt, dass wir entscheiden sollten, Energieimporte aus Russland zu stoppen, um Putin an den Verhandlungstisch zu bringen, um den Krieg zu beenden."
Macron drängt auf engere wirtschaftliche Zusammenarbeit
Auch in der Wirtschafts- und Finanzpolitik zeigen sich Differenzen. Darum geht es heute am zweiten Gipfeltag. Gastgeber Macron kann sich eine enge Zusammenarbeit wie beim Corona-Hilfsfonds vorstellen, um weitere Krisen zu bestehen. "Wir werden eine gemeinsame europäische Investitionsstrategie brauchen. Das haben wir mit dem Wiederaufbauplan vom Sommer 2020 begonnen. Das ist teilweise auch weiter anwendbar. Aber mit Zielen, die wir definieren werden, muss man sehen, ob es weitere Entscheidungen braucht."
Gemeinsame Schulden nicht als Ausnahme, sondern als europäische Regel, um Verteidigungsbereitschaft oder die Umstellung auf erneuerbare Energien zu bezahlen? Da macht der niederländische Premier Rutte nicht mit: "Innerhalb des bestehenden Wiederaufbauplanes haben wir noch eine Menge zu tun. Und ich denke, wir sollten uns darauf konzentrieren, was jetzt zu tun ist - in Verteidigungsfragen, oder um so gut wie möglich auf die Energiekrise zu reagieren."
Einig sind sich die 27 in dem Ziel, auch in der Wirtschafts- und Finanzpolitik Europas strategische Autonomie auszubauen - etwa beim Einkauf von Rohstoffen oder in der Produktion von Halbleitern.