Orban steht auf einem EU-Gipfel in Brüssel im Mai 2022 vor den Flaggen der Mitgliedsstaaten

EU und Ungarn Hat Orbans Methode Erfolg?

Stand: 12.12.2023 08:36 Uhr

Ungarns Regierungschef Orban hat vor dem EU-Gipfeltreffen am Donnerstag eine Drohkulisse aufgebaut - zu Lasten der Ukraine. Warum, darüber wird spekuliert. Aber es geht wohl ums Geld.

Es war eine ungewöhnliche Feststellung für ein EU-Treffen: "Der Diktator kommt", sagte der damalige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker vor acht Jahren gut hörbar, als der ungarische Regierungschef Viktor Orban auf dem EU-Gipfel im lettischen Riga eintraf - um die Formulierung gleich darauf beim Handschlag zur Begrüßung noch einmal zu wiederholen: "Diktator!" Es folgte ein freundschaftlicher Klaps auf die Backe.

Heute, im Jahr 2023, mag das Verhältnis der beiden deutlich abgekühlt sein, in einem aber kommen Juncker und Orban zur selben Einschätzung: Die Ukraine halten sie für ein extrem korruptes Land. 

 

Viktor Orban (li) und Jean-Claude Juncker begrüßen sich bei einem EU-Gipfel 2015

Jean-Claude Juncker war gerne mal hemdsärmelig - das bekam auch Viktor Orban auf mehreren Gipfel zu spüren.

Orbans finstere Drohkulisse

Doch während Juncker längst ein Politik-Rentner ist und sich nur aus dem Ruhestand per Interview zu Wort meldet, ist der Mann aus Budapest vor dem anstehenden EU-Gipfel zum Bedauern vieler eine zentrale Figur. Hat er doch eine - selbst für seine Verhältnisse - finstere Drohkulisse aufgebaut und hat angedroht, der Ukraine auf dem EU-Gipfel am Donnerstag gleich mehrere dicke Steine in den Weg zu legen.

Allerdings, so fragen sich viele in Brüssel: Wie weit ist Orban tatsächlich bereit zu gehen? Oder will er nur Druck aufbauen zu Gunsten der eigenen Kasse? Also: Alle Augen auf Orban. Wieder einmal.

 

Ringen um die Tagesordnung

Seine erste Blockade-Drohung: Ungarn will die bisher geplante Tagesordnung des Gipfels nicht akzeptieren und hat das Ratspräsident Charles Michel, der dafür zuständig ist, in gleich zwei Briefen mitgeteilt.

Eigentlich hatte sich die Runde der Staats- und Regierungschefs vorgenommen, auf dem Gipfel die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine zu beschließen. Es ist Konsens, dass das bis zur Mitgliedschaft noch ein langer, steiniger Weg ist. Den eher symbolischen politischen Schritt wollen 26 Mitglieder aber gehen - Ungarn dagegen nicht. Und ohne Einstimmigkeit geht im Rat nichts.

Es geht auch um den Haushalt

Auch bei einem weiteren Vorhaben heißt es aus Ungarn: Nem, also Nein. Die EU will gemeinsam der Ukraine für die kommenden Jahre weitere 50 Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Dazu soll der EU-Haushalt verändert werden. Und auch dafür braucht es Einstimmigkeit.

Als Plan B könnten die Willigen die finanzielle Unterstützung der Ukraine auch jenseits des Haushaltes organisieren. Zur Not eben ohne Ungarn. Aber welches Signal sendet das?

Eine gewisse Müdigkeit in der EU, die Ukraine zu unterstützen, ist spürbarer als bisher. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sagt: "Ich hoffe, dass die europäische Geschlossenheit nicht zerbrechen wird, denn dies ist nicht der Moment, unsere Unterstützung für die Ukraine zu schwächen."

Gabrielius Landsbergis, Außenminister von Litauen, war am Montag in Brüssel die Empörung über die Blockade-Drohungen ins Gesicht geschrieben. Setze sich das Land durch, könnten "dunkle Zeiten" vor der EU liegen.

Für viele ein Rätsel

Viele im Brüsseler Europaviertel, aber auch in den EU-Hauptstädten, rätseln in den Tagen und Stunden vor dem Gipfel: Was genau bezweckt Orban mit seiner angekündigten Blockade? Der englische "Guardian" berichtet, Orban-Vertraute seien zu Gesprächen in der USA, um Republikaner zu treffen.

Die Zeitung zitiert eine diplomatische Quelle, die der ungarischen Botschaft nahe stehe: "Orban ist zuversichtlich, dass die Ukraine-Hilfe im Kongress nicht angenommen wird. Deshalb versucht er, auch die Hilfe der EU zu blockieren."

Will er der Ukraine schaden? Ohne Frage gilt Orban zusammen mit dem slowakischen Regierungschef Robert Fico als Putin-Sympathisant und ließ diesen erst im Oktober bei einer Begegnung in Peking wissen, Ungarn habe "nie eine Konfrontation mit Russland" gewollt.

 

Zockt Orban um gesperrte Gelder?

Oder will Orban nur maximalen Druck aufbauen, um den Preis für seine Zustimmung hochzutreiben? Es geht um viel Geld, viele Milliarden, die die EU-Kommission blockiert hat. Seit Jahren wird Ungarn vorgeworfen, EU-Grundwerte und die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit auszuhöhlen.

Nun heißt es in Brüssel, dass die EU-Kommission kurz davor ist, rund zehn Milliarden Euro freizugeben. Selbst, wenn es keinen Zusammenhang zwischen diesem Vorgang und der Orban-Blockade vor dem Gipfel gäbe, löst die zeitliche Nähe Spekulationen aus. Das sagen selbst die, die nicht an ein solches Vorhaben glauben.

Katalin Cseh, liberale Europaabgeordnete aus Ungarn, sagt im Gespräch mit dem ARD-Studio Brüssel, eine Freigabe der EU-Gelder würde "Bedenken hinsichtlich des Bekenntnisses der EU-Kommission zur Wahrung der Rechtstaatlichkeit" auslösen. Zwar habe es auf Druck der EU etwas Fortschritt gegeben. Es sei aber offensichtlich, "dass das Land derzeit nicht die Mindeststandards" erfülle.

Auch der Grünen-Abgeordnete Daniel Freund lehnt die mögliche Freigabe der Gelder ab, fordert stattdessen ein härteres Vorgehen gegen Ungarn. Er spricht von einer "erneuten Erpressung" durch Orban. Und: Die Situation sei "konfrontativer als bei früheren Gipfeln".

Bis voraussichtlich am Freitag die 27 Staats- und Regierungschefs das Gipfelgebäude verlassen, ist es noch eine lange Zeit. Steht danach eine Einigung oder das große Scheitern zum Jahresende?

Es wäre nicht das erste Mal, dass Orban plötzlich und auch ohne ganz große Gegenleistung seinen Widerstand aufgibt. Bis dahin steht er erstmal ziemlich alleine da. Doch diese Rolle bereitet dem Ungarn für gewöhnlich keine allzu großen Kopfschmerzen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete NDR Info am 12. Dezember 2023 um 13:22 Uhr.