Auf einer EU-Flagge liegt ein Hammer und ein Handy mit einem X-Zeichen.
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EU-Kommissarin Jourova "Musks Erklärungen sind ziemlich anstrengend"

Stand: 26.10.2024 14:17 Uhr

EU-Kommissarin Jourova pocht darauf, dass Techgiganten ihrer Verantwortung gerecht werden und Hetze auf ihren Plattformen unterbinden. Entsprechende EU-Gesetze müssten eingehalten werden - auch von Trump-Fan Musk.

ARD: Nach zehn Jahren im Amt verlassen Sie bald Brüssel und beenden Ihre Zeit mit einer ziemlich dramatischen Aussage. Sie sagten kürzlich, dass Sie "wirklich Angst vor digitalen Plattformen in den falschen Händen" haben und Sie gingen so weit, Elon Musk, den Chef von X (früher Twitter) als "Förderer des Bösen" zu bezeichnen. Starke Worte. Können Sie erklären, warum Sie das gesagt haben?

Vera Jourová: Die Manager der Plattformen sind sehr, sehr mächtige Leute, die die öffentliche Meinung der Europäer beeinflussen können. Sie machen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union große Geschäfte.

Deshalb glaube ich, dass ihre große Macht durch Verantwortung ausgeglichen werden sollte. Das war meine Botschaft, dass alle anderen großen Plattformen versuchen, etwas gegen Hass und Hassrede zu tun, was bei der Plattform X nicht der Fall ist, deshalb habe ich das gesagt.

ARD: Was kann die EU überhaupt tun, um ihre Regeln gegenüber solch mächtigen Tech-Bossen durchzusetzen?

Jourová: Wir den Ansatz der Durchsetzung des sogenannten Gesetzes über digitale Dienste. In diesem Gesetz sind alle Pflichten der digitalen Plattformen sehr klar beschrieben und die müssen auch eingehalten werden. Deshalb sind die Erklärungen von Herrn Musk, dass er sich nicht an europäische Gesetze halten wird, ziemlich anstrengend, muss ich sagen.

Ich hatte sehr viele Diskussionen mit den digitalen Bossen, wenn ich sie so nennen darf, in denen ich ihnen erklärt habe, warum es in der EU solche Gesetze gibt: Bestimmte Äußerungen sind in den Mitgliedsstaaten eindeutig gesetzlich verboten. Ich erkläre ihnen die europäische Geschichte. Ich könnte sogar sagen, die europäische Seele.

Vera Jourova
Zur Person

Die tschechische Politikerin Vera Jourova ist seit 2019 Vizepräsidentin der EU-Kommission und Kommissarin für Werte und Transparenz. Von 2014 bis 2019 war sie EU-Kommissarin für Justiz, Verbraucherschutz und Gleichstellung. In ihrer jetzigen Position ist Jourova unter anderem für das Verfahren gegen Ungarn wegen Verletzung von EU-Grundwerten zuständig. Mit der Bestätigung der neuen Kommission scheidet Juorova aus dem Amt.

"Ein Gesetz muss durchgesetzt werden"

ARD: Glauben Sie wirklich, dass die EU über genügend Instrumente zur Regulierung verfügt?

Vera Jourová: Sie haben Recht. Wenn das Gesetz seinen Zweck erfüllen soll, muss es auch durchgesetzt werden. Die Kommission hat Kapazitäten, hat Experten, hat technische Mittel, um in das System der großen Plattformen hineinzuschauen und die Missstände zu benennen. 

"Wir müssen der Sache etwas Zeit geben"

ARD: Was empfehlen Sie der nächsten Kommission, wo sollte sie nachschärfen?

Jourová: Ich denke, dass es eine klare Aufgabe der künftigen Kommission ist, die angelaufenen Prozesse fortzusetzen. Es gibt mehrere Plattformen, nicht nur X, auch TikTok und Meta. ich denke, wir müssen der Sache etwas Zeit geben, um Ergebnisse zu sehen.  

ARD: Glauben Sie wirklich, dass es die Unternehmen hart treffen kann?

Jourová: Wir haben mit den Strafsummen der EU-Datenschutzverordnung bereits Erfahrungen gemacht. Das ist wirklich das Geld, das solchen Plattformen fehlen könnte.

"Das humanitäre Recht spricht eine klare Sprache"

ARD: Frau Kommissarin, die neue polnische Regierung unter Ministerpräsident Donald Tusk ist viel europafreundlicher als die frühere Regierung. Dennoch weigerte sie sich, die europäischen Asylgesetze umzusetzen. Gibt es gute und schlechte Gründe, sich über das gemeinsame EU-Recht hinwegzusetzen?

Jourová: Ich denke, darüber wird es noch viele Diskussionen geben. Unsere Position ist immer, dass wir viel mehr tun müssen, um unsere Außengrenze zu schützen. Aber wir können nicht einfach das humanitäre Völkerrecht ausschalten, das besagt, dass die Menschen, die aus den Kriegsgebieten fliehen, nach den nationalen Regeln Asyl bekommen müssen.

Herr Tusk hat klar und deutlich gesagt, dass es dazu gehört. Es ist Sache der Mitgliedstaaten zu entscheiden, wer auf ihrem Territorium Asyl erhält. Aber gleichzeitig spricht das humanitäre Recht eine klare Sprache. 

Wir stellen immer öfter fest, dass die illegale Migration, die große Zahl von Menschen, die nach Europa kommen, die Sicherheit bedrohen können. Zumindest gibt es diesen Eindruck. 

Deshalb denke ich, dass Herr Tusk, vor allem, sobald er den Vorsitz im Europäischen Rat übernommen hat, diese Argumente auf den Tisch der europäischen Staats- und Regierungschefs bringen wird. 

"Wer die Werte nicht versteht, versteht vielleicht das Geld"

ARD: Thema Rechtsstaatlichkeit: Bereits 2020 waren Sie ziemlich wütend, bezeichneten Ungarn als eine "kranke Demokratie" und bekamen eine Menge Gegenwind. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban drängte sogar auf Ihren Rücktritt als Kommissarin. Warum ist es für die EU so schwer, ihre Regeln gegenüber einigen Mitgliedsstaaten durchzusetzen?

Jourová: Wenn dem demokratischen System einige sehr grundlegende Elemente wie unabhängige Medien oder eine unabhängige Justiz fehlen, dann können wir nicht von einer gesunden Demokratie sprechen. 

Ich habe gesagt, wer die Werte nicht versteht, versteht vielleicht das Geld. Mit der ersten finanziellen Sanktion im Rahmen des sogenannten Konditionalitätsmechanismus hat die ungarische Regierung begonnen, sich zu bewegen. 

"Auch im internationalen Raum die Grundrechte fördern"

ARD: Internationale Allianzen wie die BRICS-Staaten werden für bestimmte Länder attraktiv, weil diese Allianzen den Menschenrechten und der Rechtsstaatlichkeit keine Priorität einräumen. Wie kann die EU also erfolgreich mit diesen Bündnissen konkurrieren, ohne ihre eigenen Standards zu senken?

Jourová: Wir vertreten den demokratischen Teil der Welt. Deshalb müssen wir als demokratischer Raum, als die Länder, die die Grundrechte fördern, dies auch in unserer internationalen Politik und in der Entwicklungshilfe für Drittländer tun.

Ich bin daher sicher, dass die neue Kommission und die neue EU mit dem neuen Mandat sich bemühen werden, mit Drittländern zusammenzuarbeiten und gleichzeitig die Werte zu fördern. Ich denke, dass dies unerlässlich ist, sonst würden wir unser europäisches Gesicht verlieren. 

Das Gespräch führte Tina Hassel, ARD-Studio Brüssel. Mehr zum Thema sehen Sie auch im Europamagazin - am Sonntag um 12.45 Uhr im Ersten.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete das "Europamagazin" am 27. Oktober 2024 um 12:45 Uhr.