7,5 Milliarden sollen wegfallen Wie die EU-Drohung Ungarn unter Druck setzt
Die EU-Kommission will Ungarn 7,5 Milliarden Euro entziehen, weil das Land gegen Prinzipien des Rechtsstaats verstoße. Noch ist das eine Drohung, weil eine Mehrheit der EU-Staaten zustimmen müsste. Ungarn reagiert aber bereits. Ist das glaubwürdig?
Es ist das erste Mal, dass die Europäische Kommission in Brüssel vorschlägt, Gelder in Milliardenhöhe nicht auszuzahlen, weil in einem Land der Rechtsstaat nicht funktioniert. Dass es zuerst Ungarn treffen würde, war für niemanden in Brüssel eine Überraschung. Einstimmiger Beschluss, kein abweichendes Votum, alle 26 Kommissare plus Präsidentin Ursula von der Leyen seien sich einig gewesen, berichtete Haushaltskommissar Johannes Hahn nach der Kommissionssitzung am Morgen.
Der ungewöhnliche Zeitpunkt für die Sitzung war wegen anderer Termine nötig geworden: Am Montag nimmt von der Leyen am Staatsbegräbnis der Queen teil, dann reist sie weiter nach New York zur UN-Generalversammlung.
7,5 Milliarden Euro sollen Ungarn nicht ausgezahlt werden
Geht es nach dem Willen der Kommission, sollen 7,5 Milliarden Euro eingefroren werden, die Ungarn eigentlich aus dem Gemeinschaftshaushalt zustehen. "Wir müssen davon ausgehen, dass EU-Gelder in Ungarn nicht ausreichend geschützt sind", berichtete Haushaltskommissar Hahn, ein Österreicher. Es gehe um die Gelder von Europas Steuerzahlern.
Die Fakten über Korruption und Vetternwirtschaft in Ungarn sind in Brüssel bekannt. Die EU-eigene Antikorruptionsbehörde OLAF hat sie akribisch ermittelt, über Jahre. Überweisungen aus dem Brüsseler Gemeinschaftshaushalt versickern in dunklen Kanälen, oft landen sie auch ganz offiziell bei Freunden und Familienangehörigen von Ministerpräsident Victor Orbán.
Ausschreibungen für die lukrativen, von der EU bezahlten Millionen-Projekte sind oft gezielt auf einen bestimmten Bewerber zugeschnitten. Im Fall der landesweiten Ausstattung mit neuen Straßenlaternen war es zum Beispiel eine Firma, in der Orbáns Schwiegersohn eine entscheidende Rolle spielt. Wer nicht mindestens der Regierungspartei Fidesz nahesteht, hat als Unternehmer wenig Chancen, den Zuschlag für einen der gewinnversprechenden Aufträge zu bekommen.
"Wir müssen davon ausgehen, dass EU-Gelder in Ungarn nicht ausreichend geschützt sind" - EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn
Hoffen auf Reformbereitschaft
Einfrieren will die Kommission ein Drittel der für Ungarn vorgesehenen Mittel aus dem Kohäsionsfonds. Mit Fördermitteln zum Beispiel für den Ausbau der Verkehrssysteme und der Energienetze sollen in Europa wirtschaftlich schwache Regionen unterstützt werden. Da ist der Bedarf in Ungarn groß.
In der Kommission gibt man sich optimistisch, dass schon die Androhung von finanziellen Daumenschrauben bei Orban Wirkung zeigt. Die Staatskassen seien leer, heißt es in Brüssel, Teile der erwarteten Fördergelder seien schon fest verplant. Außerdem, und das ließ die Orbán-Kritiker in der morgendlichen Pressekonferenz aufhorchen, außerdem sieht die Kommission durchaus Reformbereitschaft bei dem ungarischen Premier.
Seit der Ankündigung von Mittelkürzungen vor einigen Wochen, so Haushaltskommissar Hahn, habe man in Brüssel den Eindruck: "Ungarn hat sich tatsächlich bewegt". Der Optimismus des Kommissars gründet sich auf Orbáns Ankündigung, auf die Kritik aus Brüssel einzugehen und eine Anti-Korruptions-Behörde zu gründen.
Misstrauen gegenüber Reformbewegung
"Wie können Sie so etwas ernst nehmen?", wurde der Haushaltskommissar in der Pressekonferenz von der Korrespondentin von "Nepszava" gefragt, eine der wenigen noch von der Regierungspartei unabhängigen Zeitungen. Es gebe in ihrem Land keine Unabhängigkeit der Gerichte, betonte die Korrespondentin Katalin Halmai, Ungarn sei ein Land, in dem "die sogenannte Unabhängigkeit von Behörden und Institutionen nur noch auf dem Papier steht".
EU-Kommission will Ungarn wegen Korruption und Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit Gelder kürzen
Haushaltskommissar Hahn antwortete ausweichend. Die jüngsten Ankündigungen, auf die Brüsseler Bedenken einzugehen, seien "ein Schritt in die richtige Richtung." Allerdings forderte er auch, dass die Absichtsbekundungen in neue Gesetze und Maßnahmen münden müssten, bevor die EU beruhigt sei.
Rechtsstaatsexperten im Europäischen Parlament finden die plötzlich milderen Töne aus Budapest wenig vertrauenswürdig. "Was die EU-Kommission hier als Erfolg verkauft", erklärt der Grünen-Abgeordnete Daniel Freund, sei "bei näherer Betrachtung weniger beeindruckend". Orbán könne weiter mit rund 80 Prozent der Überweisungen fest rechnen, das gehe "weiter in das korrupte System" des Landes. Freund fürchtet, dass der ungarische Premier es bis zum Jahresende noch mit Scheinreformen schaffen könnte, die Sanktionen abzuwenden.
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán hatte schon vor ein paar Tagen eine 17-Punkte-Liste in Brüssel vorgelegt, die nach Ansicht der ungarischen Regierung alle EU-Forderungen erfüllen sollte.
Maßnahmen bis November konkretisieren
Der eingeleitete Rechtsstaatsmechanismus sieht vor, dass die ungarische Regierung nun bis November Zeit hat, die Umsetzung der Reformmaßnahmen zu konkretisieren. Die Drohung der Kommission, 7,5 Milliarden Euro einzufrieren, ist zunächst nur ein Vorschlag der Kommission.
Am Ende können die Mittelkürzungen nur von der Mehrheit der Mitgliedsländer beschlossen werden. Mindestens 15 der insgesamt 27 Regierungen in der EU müssten sich in einem Beschluss gegen Ungarn stellen. Und diese 15 müssten mindestens 65 Prozent der Bevölkerung der Europäischen Union repräsentieren. Einen solchen Beschluss könnte Orbán allerdings nicht mit einem Veto verhindern – es reicht der Mehrheitsentscheid.
"Die Mitgliedsstaaten sollten sich nicht mit Lippenbekenntnissen abspeisen lassen", fordert auch der FDP-Europaabgeordnete Moritz Körner. Man müsse abwarten, ob sich die Reformen "tatsächlich auch in der Praxis bewähren". Wichtig sei, dass "das Geld der europäischen Steuerzahler nicht länger im Dunstkreis der Orbàn-Mafia versickert."