Wegen Teilmobilmachung Hunderte Festnahmen bei Protesten in Russland
Nachdem Putin die Teilmobilmachung angekündigt hat, gehen in mehreren Städten Menschen auf die Straße. An den Landgrenzen bilden sich Staus, Flüge sind ausgebucht. Und viele fragen sich, wie die Wehrpflicht genau umgesetzt werden soll.
Gestern Abend in Moskau. Menschen protestieren gegen die angekündigte "Teilmobilmachung" und rufen immer wieder "Net Wojne" - nein zum Krieg. Die Polizei greift entschieden und hart durch. Ein Reporter der russischen Nachrichtenseite Sota streamt live und beschreibt, wie Polizisten einen Menschen nach dem anderen abführen. Am Ende wird der Platz geräumt.
Es sind Szenen, die an die Antikriegsproteste nach Russlands Einmarsch in die Ukraine erinnern. Auch wenn dieses Mal vielleicht nur Hunderte statt wie damals Tausende auf der Straße sind. Dafür kommt es quasi im ganzen Land zu kleinen Demonstrationen. Im Sibirischen Tomsk, aber auch in der nördlichen Hafenstadt Archangelsk.
5000 Kilometer von Moskau entfernt, in Ulan Ude, erklärt ein junger Mann: "Wir sind gegen die Zwangsmobilmachung! Wir brauchen die Sache ganz und gar nicht."
Umsetzung unklar
Laut der Menschenrechtsorganisation OVD-Info sollen an diesem Abend mehr als 1200 Menschen in mindestens 35 Städten festgenommen worden sein. Zeitgleich diskutieren Russinnen und Russen in sozialen Medien, wer jetzt eigentlich eingezogen wird. Denn klar ist das nicht. Selbst für die, die dienen wollen.
Wie dieser junge Mann, der eine Sprachnachricht auf einem regimefreundlichen Telegram-Kanal veröffentlicht: "Es ist offensichtlich, dass Menschen gebraucht werden. Zumindest um zu rotieren, damit unsere Armee normal funktioniert. Das ist Fakt, das war zu erwarten."
Wie das jetzt umgesetzt werden solle, verstehe er aber nicht ganz. "Denn bei uns gibt es viele, die sozusagen nur formell gedient haben", sagt er. In seiner Sprachnachricht ruft der junge Mann dann noch dazu auf, nicht in Panik zu verfallen. Denn man müsse doch verstehen, dass die Interessen des Landes mehr wiegen als die privaten.
Vager Erlass
Tatsächlich ist der Erlass, der die Mobilisierung verordnet, extrem vage geschrieben. Dort ist weder die Rede von 300.000, noch von Reservisten. Stattdessen wird dort von der "Einberufung der Bürger der Russischen Föderation" gesprochen.
Für Beobachter wie den russischen Menschenrechtler Sergej Kriwenko ist deshalb die sogenannte Teilmobilisierung in Wahrheit viel mehr: "Die vom Verteidigungsminister Shoigu genannte Zahl von 300.000 und die Kategorien, nach denen ausgewählt werden soll - das ist alles eine Art Trick, eine List. Denn der Erlass des Präsidenten enthält keine Zahlen."
Der Verteidigungsminister könne so heute die eine Zahlen angeben, und morgen aber vielleicht schon wieder eine andere, sagt Kriwenko." Mit anderen Worten: Wir müssen klar verstehen, dass jetzt jeder Bürger in der Reserve, also fast alle Männer und Frauen, für die Wehrpflicht eingezogen werden kann."
Erzwungener Kriegseinsatz besonders unbeliebt
Der erzwungene Kriegseinsatz sei in Russland besonders unbeliebt, so Kriwenko. Er erinnere an den sieglosen Krieg in Afghanistan und den blutigen in Tschetschenien. "Die Maschine hat jetzt angefangen zu arbeiten und für den einzelnen Bürger spielt es keine Rolle, wie viele genau jetzt eingezogen werden."
Es sei egal, ob es 300.000 oder 500.000 sind, sagt Kriwenko. "Weil jetzt die Wehrpflicht möglich ist und die Zahl eben nicht Null ist - der einzelne Bürger also gezielt eingezogen werden kann."
Direktflüge ausgebucht
Der Leiter des Verteidigungsausschusses der Duma erklärte bereits, dass Reservisten zwar innerhalb Russlands auf Dienstreise gehen dürften. Vom Urlaub in der Türkei rate er allerdings ab. Und wer schon eine Vorladung erhalten habe, dürfe sich von nun an nicht mehr frei bewegen.
Währenddessen waren Direktflüge in Länder, in denen Russen keine Visa benötigen, ausverkauft. Tickets nach Istanbul oder nach Armenien gibt es erst in ein paar Tagen wieder - und dann zu horrenden Preisen. Auch vor den Grenzen nach Finnland und in die Mongolei sollen mehr Autos als sonst auf die Ausreise warten.