Russland Duma will LGBTTIQ-Rechte weiter einschränken
In Russland soll ein neues Gesetz "LGBT-Propaganda" in allen Sphären des Lebens verbieten. Menschenrechtsorganisationen sehen das mit großer Besorgnis.
Vor zwei Jahren sei es schon schlimm gewesen. Jetzt aber sei es noch schlimmer. Das erzählt Tatjana Vinnichenko, die Direktorin des Moskauer Community Centers - einer russischen Organisation, die sich für die Rechte queerer Menschen einsetzt. Bei einem ersten Besuch Ende 2019 sitzt die Menschenrechtsorganisation schon versteckt in einem Moskauer Keller. Führt unter anderem ein "LGBT-Archiv", wie Vinnichenko selbst sagt. Mit Büchern und Zeitschriften noch aus der Zeit der Sowjetunion. Seitdem hat sich viel verändert.
Das Community Center wird, wie die meisten Menschenrechtsorganisationen in Russland, mittlerweile als "ausländischer Agent" geführt. Mit strengen Vorgaben und drakonischen Strafen. Vinnichenko und ihr Team sind umgezogen. Offiziell betreiben sie heute einen Co-Working Space mit angeschlossenem Café - für alle.
Es sei irgendwie leer geworden, erzählt die 49-Jährige mit einem Seufzer. Entweder wurde eine Organisation aufgelöst, oder aber sie sei ins Ausland gegangen. Das träfe gefühlt auf jede zweite zu, schätzt Vinnichenko. Schon vor zwei Jahren war die LGBTTIQ-Szene in Russland eine verborgene. Jetzt aber sei man noch verschlossener. Sogar in Metropolen wie Moskau.
Duma beschäftigt sich mit Gesetzentwurf
Eine der Organisationen, die aufgelöst wurden und damit nur noch aus dem Ausland arbeiten können, ist der "Fond Sphera". Von wo genau sie arbeiten, dürfen sie nicht verraten - aus Sicherheitsgründen. Noel leitet dort die Kommunikationsabteilung. "Fond Sphera" hilft queeren Menschen, die auswandern, aber auch die, die bleiben. Mit Rechtsbeistand oder psychologischer Betreuung, ähnlich wie das Moskau Community Center.
"Zusätzlich zum Krieg", erklärt Noel, dier sich als non-binäre Person identifiziert, brauche Russland noch einen anderen Feind. Und wie so oft in der Geschichte ihres Landes, träfe es mal wieder die LGBTTIQ-Community. Denn heute befasst sich das russische Parlament, die Duma, mit einem neuen Gesetzesentwurf in erster Lesung.
Ausweitung des bestehenden Verbots geplant
Seit 2013 ist die sogenannte "LGBT-Propaganda" gegenüber Minderjährigen verboten und unter Strafe gestellt. Jetzt soll dieses Verbot nicht nur auf Erwachsene ausgeweitet werden, sondern in so gut wie alle Sphären des öffentlichen Lebens hineinwirken: in den sozialen Netzen, im Kino, in der Werbung, auf Musik-Streaming-Plattformen, in Büchern.
Unter Strafe gestellt werden soll damit sogenannte "Propaganda nicht-traditioneller sexueller Beziehungen", "Propaganda von Pädophilie", "Propaganda von Geschlechtsangleichenden Maßnahmen bei Minderjährigen". Die Strafen reichen von umgerechnet bis zu 1600 Euro für Privatpersonen bis zu 160.000 Euro für Organisationen oder die Ausweisung verurteilter ausländischer Staatsbürger.
Man könnte sich fragen, warum ausgerechnet in Zeiten wie diesen ein solches Gesetz auf den Weg gebracht wird. Für den Duma-Abgeordneten Alexander Hinschtejn, der das Gesetz mit verfasst hat, muss es jetzt eben gerade wegen solcher Zeiten verabschiedet werden. LGBT sei heute ein "Werkzeug des hybriden Krieges", erklärte er in einer ersten öffentlichen Anhörung. "In diesem hybriden Krieg müssen wir unsere Werte verteidigen." Russland müsse seine Gesellschaft schützen, seine Kinder. Die "Spezialoperation" gegen die Ukraine verlaufe nicht nur auf dem Schlachtfeld, erklärte Hinschtejn, "sondern auch im Bewusstsein und in der Seele der Menschen."
Beunruhigende, unklare Sprache
LGBTTIQ-Rechte werden in Russland schon seit längerem quasi synonym mit dem moralisch verkommenen Westen verwendet. Doch nie war der juristisch gesetzte Ton derart scharf: "LGBT" wird im neuen Gesetz in einem Atemzug mit Pädophilie und sexueller Gewalt genannt. Hintschejn spricht von "gebildeten" und "verdorbenen Vorstellungen". Der Leiter der russischen Aufsichtsbehörde von "sexuellen Abweichungen".
Es ist eine Sprache, die auch Aktivisten wie Noel beunruhigt. Dabei wissen weder Noel noch Tatjana Vinnichenko, was all das jetzt genau zu bedeuten hat. Denn das Wort "Propaganda" wird im Gesetzestext nicht näher definiert. Ist Händchen halten auf offener Straße Propaganda? Ärztliche Aufklärung zu einer Geschlechtsumwandlung? Oder das Vorlesen der griechischen Ödipus-Sage an der Universität?
Das Moskau Community Center wird deshalb erst einmal abwarten. Und sollten sie der Staat sie auf Grundlage des neuen Gesetzes bestrafen, werde man schauen, wofür genau. Ob das Gesetz ihnen Angst macht? "Nein. Wir werden weiter arbeiten."