Sicherheitspolitik Was Finnland anders macht
Russland verstärkt nach eigenen Angaben seine Truppenpräsenz an der Grenze zu Finnland. Doch das Neu-NATO-Mitglied lässt sich nicht einschüchtern, es richtet seine Sicherheitspolitik an historischen Erfahrungen aus - mit Erfolg.
Geschichte spielt in Finnland eine große Rolle. Unvergessen ist der Weltmeistertitel bei der Eishockey-WM 1995. Finnland errang ihn mit einem 4:1-Sieg gegen Schweden, dies ausgerechnet in Stockholm.
Es war der Beginn eines kleinen Siegeszuges gegen den Nachbarn, dessen Bevölkerungszahl mit zehn Millionen doppelt so hoch ist. Schweden herrschte 600 Jahre über die Finnen und war lange in seiner Entwicklung voraus. Viele Finnen gingen auf Jobsuche nach Schweden, während die schwedische Minderheit in Finnland noch immer als Elite gilt. Deshalb erinnern Finnen auch gern daran, dass Nokia in der Konkurrenz mit dem schwedischen Konzern Ericsson bestand. Dass ihr Land mehr als ein Jahr vor Schweden in die NATO aufgenommen wurde, sehen sie durchaus auch mit Stolz und als Bestätigung für eine überlegte Außen- und Sicherheitspolitik.
Historische Parallelen
Beim NATO-Beitritt wiederum überholte Finnland auch andere Staaten, die ebenso an Russland grenzen - Georgien zum Beispiel, das zusammen mit der Ukraine schon im Jahr 2008 das Beitrittsversprechen erhielt und bis heute nicht einmal die Vorstufe, den "Membership Action Plan", erhalten hat.
Dabei weist ihre Geschichte historische Parallelen auf. Auch Finnland stand im 19. Jahrhundert unter der Herrschaft des russischen Zarenreichs und wurde ebenso erstmals nach dem Ersten Weltkrieg ein unabhängiger Staat.
Finnland allerdings konnte seine Unabhängigkeit von der Sowjetunion bewahren - in zwei verlustreichen, aber klug geführten Kriegen und während des Kalten Krieges mit einer Politik, die als "Finnlandisierung" in die Geschichte einging. Um seiner Souveränität willen ging Finnland schmerzhafte und umstrittene Kompromisse bis hin zu undemokratischen Entscheidungen ein, zum Beispiel mit der Zensur kritischer Medienberichte über die Sowjetunion.
"Sehr starker Verteidigungswille"
Die Lehren aus der Geschichte bestimmen die heutige Politik Finnlands. Dazu zählt eine hohe Sensibilität für Sicherheitsrisiken und die Bereitschaft, Dogmen der Außen- und Sicherheitspolitik konsequent auf den Prüfstand zu stellen.
So begann in Finnland schon angesichts des Krieges in Georgien im Jahr 2008 eine Debatte darüber, ob eine NATO-Mitgliedschaft infrage kommt. Als Russland am 24. Februar 2022 den Großangriff die Offensive gegen die Ukraine begann, kam das Land schnell überein, diesen Schritt zu gehen.
Zugleich stimmten erstmals 83 Prozent der Bevölkerung der Aussage zu, das Land auch bei einem ungewissen Ausgang mit Waffen verteidigen zu wollen. Bei Bedarf können schrittweise bis zu 280.000 Reservisten eingezogen werden.
Finnland profitiert nun davon, dass nach dem Kalten Krieg das Niveau der Abschreckung beibehalten wurde. "In der Bevölkerung Finnlands gibt es ein sehr starkes Bedrohungsbewusstsein und einen sehr starken Verteidigungswillen", fasste dies Finnlands Botschafter in Deutschland, Kai Sauer, in einem Gespräch mit der tagesschau zusammen.
Es bedeutet auch, der Sicherheit alles unterzuordnen und dazu auch wirtschaftlich nachteilige und bisweilen harte Entscheidungen zu treffen. "Es sind keine finnischen Großunternehmen mehr in Russland tätig", betont Sauer etwa.
Weil Finnland die Ankunft Hunderter Asylsuchender aus Russland als hybriden Angriff wertet, hält die Regierung nicht nur alle Grenzübergänge nach Russland geschlossen. Das Parlament plant nun auch eine Einschränkung des Asylrechts, um Ankömmlinge ohne Angaben von Gründen sofort nach Russland zurückschicken zu können. Dies könnte auf eine Verletzung von EU-Vorgaben hinauslaufen.
Geschickte Diplomatie
Als sicherheitspolitischen Vorteil rechnet sich Finnland auch die Stabilität an, die es durch Diplomatie und umsichtige Sicherheitspolitik erreicht hat. Finnland konnte anders als andere Nachbarstaaten Russlands das Entstehen ethnischer und territorialer Konflikte vermeiden, auch wenn es Teile eigenen Territoriums an die Sowjetunion verlor und es eine russische Minderheit im Land gibt. Unter dieser unterstütze nur ein geringer Anteil Russlands Angriffskrieg in der Ukraine, so Sauer. Auch die Rechtspopulisten im Land sind nicht pro-russisch eingestellt.
Sogar mit Donald Trump fand die Regierung ein Auskommen. Zu dessen Freude richtete sie für ihn im Juli 2018 in Helsinki ein Gipfeltreffen mit Russlands Machthaber Wladimir Putin aus.
Entsprechend gelassen äußerte sich der gerade gewählte Staatspräsident Alexander Stubb angesichts der Möglichkeit, dass Trump wieder US-Präsident werden und den Rückzug der USA aus Europa betreiben könnte. Finnland hatte erst im Dezember ein Militärabkommen mit den USA unterzeichnet, das auch die Errichtung von US-Militärstützpunkten vorsieht.
Stubb empfiehlt die "finnische Herangehensweise": "Bleiben Sie kühl, ruhig und gelassen, und dann werden Sie mit dem fertig, was kommt", sagte er bei einer Pressekonferenz während der Sicherheitskonferenz in München.
Für Populisten wie Trump gibt Finnland allerdings ein weniger schwergewichtiges Ziel ab als Staaten wie Deutschland - oder Schweden - und kann leichter im Schatten agieren. Jedenfalls gelang es Finnland, die meisten der Hürden zu umgehen, die der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und Ungarns Premier Viktor Orban Schweden für den NATO-Beitritt in den Weg gestellt haben.
Zusammenhalt in der Bevölkerung
Mit Blick auf die bevorstehende Europa-Wahl und die polarisierte Stimmung in einigen EU-Staaten beschrieb Stubb, was den Präsidentschaftswahlkampf in Finnland geprägt habe: "Für uns ist Außen- und Sicherheitspolitik existenziell." Wenn Geschichte ins Wanken gerate, "sind wir Finnen sehr einig und konsensorientiert".
Es habe keine verleumderischen Kampagnen der Kandidaten gegeneinander gegeben, so Stubb, stattdessen zivilisierte Debatten über die schwierigen außenpolitischen Themen, für die in Finnland der Präsident die Richtlinienkompetenz hat. Er ist zugleich Oberbefehlshaber der Streitkräfte.
Der Wahlkampf verlief gar so harmonisch, dass der Konservative Stubb nach seinem Sieg als erstes zur Wahlparty der Grünen Partei ging, um seinem Konkurrenten Pekka Haavisto für den fairen Wahlkampf zu danken. Hingegen wird derzeit innenpolitisch die Debatte um die Zukunft des Sozialstaates mit aller Härte geführt. Die hohen Verteidigungs- und Militärausgaben lassen weniger Spielraum für andere Bereiche des Staatsbudgets.