Ausschreitungen in Frankreich Macron sucht Rat bei den Bürgermeistern
In Frankreich scheinen die Ausschreitungen abzuklingen. Doch 220 Gemeinden erlebten in den vergangenen Tagen massive Gewalt. Präsident Macron hat deren Bürgermeister nun eingeladen, um die Ursachen der Krawalle aufzuarbeiten.
Nachdenken darüber, was falsch gelaufen ist. Verstehen, was in diesem Land passiert. Es klang ehrlich, aber auch hilflos, was Teilnehmer über die Pläne berichteten, die Präsident Emmanuel Macron gestern Abend in der Krisensitzung gefasst hatte. Helfen beim Nachdenken und Verstehen sollen die Bürgermeister. Und zwar jene 220, die in den vergangenen Tagen zum Teil äußerst gewaltsame Attacken erlitten haben.
Sie will Präsident Macron am Dienstag im Elysée Palast empfangen. Drunter wird auch Vincent Jeanbrun sein. Ihn hat es am schlimmsten getroffen. "Ich bin Bürgermeister, ich bin nicht perfekt. Aber nie hätte ich gedacht, dass man meine Familie mit dem Tod bedroht", sagte er.
Jeanbrun: Frau musste mit Kindern fliehen
Vincent Jeanbrun gehört den konservativen Republikanern an und ist Bürgermeister von L’Hay-les-Roses, einer Kleinstadt zehn Kilometer südlich des Pariser Stadtzentrums. In den 20-Uhr-Abendnachrichten auf Tf1 berichtete er gestern Abend davon, wie die Angreifer in der Nacht auf Sonntag mit einem Auto das Tor seines Grundstücks durchbrachen und Feuer legten.
Wie seine Frau mit den beiden kleinen Kindern durch den Garten fliehen musste, dabei mit Feuerwerkskörpern beschossen wurde und sich schließlich zu den Nachbarn rettete. Sie kam mit einem gebrochenen Schienbein davon. "Im Krankenhaus hat meine Frau zu mir gesagt: Wir geben nicht auf. Wir werden keine Opfer sein. Denn wenn wir der Angst nachgeben, werden sie gewonnen haben", erzählte Jeanbrun.
Zehn Aktionspläne seit 1977
In vielen Vierteln gebe es keinen Zusammenhalt mehr, erklärte der Bürgermeister von L’Hay-les-Roses, der selbst in einer Sozialbauwohnung groß geworden ist und aus einer italienischen Familie stammt. Die Polizei müsse gestärkt und besser ausgestattet werden. Aber nicht nur das.
"In diesen Vierteln gibt es keine öffentlichen Einrichtungen mehr, keine Geschäfte, keine soziale Durchmischung", klagte er. "Es geht nicht unbedingt um sehr viel mehr Geld. Aber wir müssen es besser einsetzen und alle stärken, die für die Republik einstehen", forderte Jeanbrun und meinte damit die Kindergärtnerinnen und die Lehrer.
Doch das alles ist bekannt. Seit 1977 wurden insgesamt zehn Aktionspläne für die sozial benachteiligten Viertel aufgelegt. Macron verfügte in seiner ersten Amtszeit, dass in besonders schwierigen Gegenden die Größe der Grundschulklassen halbiert wird. Außerdem hatte er das Budget für die Renovierung maroder Gebäude verdoppelt und ließ Kurse finanzieren, die dabei helfen sollen, sich selbstständig zu machen.
Macrons Maßnahmen sind nicht aufgegangen
Doch die stumpfe und zerstörerische Gewalt der vergangenen Tage hat gezeigt: Seine bisherigen Pläne sind nicht aufgegangen. Es herrscht Ratlosigkeit. Bürgermeister Jeanbrun nimmt seine Landsleute in die Pflicht und hat gemeinsam mit dem Vorsitzenden der Bürgermeister in Frankreich dazu aufgerufen, heute um 12 Uhr mittags Flagge zu zeigen.
"Seid eine lautstarke und nicht mehr die schweigende Mehrheit! Immer sind es die kleinen Gruppen, die das Image der Migranten, das Image der Sozialbauviertel kaputt machen. Also seid am Montag um 12 Uhr vor den Rathäusern", forderte er. Heute Vormittag wird sich Präsident Macron mit den Präsidenten der beiden Parlamentskammern beraten. Premierministerin Elisabeth Borne wird die Chefs und Chefinnen aller Fraktionen empfangen. Ihre Mission ist nachdenken und verstehen.
Feuerwehrmann stirbt bei Einsatz am Rande der Proteste
In der Nacht kam am Rande der Proteste ein junger Feuerwehrmann ums Leben. Innenminister Gérald Darmanin teilte auf Twitter mit, der 24-Jährige sei in Saint-Denis nördlich von Paris beim Löschen brennender Fahrzeuge in einer Tiefgarage "trotz der schnellen Hilfe seiner Mannschaftskameraden" gestorben. Derzeit werde ermittelt, wie es zu dem Brand der Fahrzeuge gekommen sei. Der Minister stellte zunächst keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen dem Feuer und den gewaltsamen landesweiten Protesten her.
Relativ ruhige Nacht auf den Straßen
Die Gewalt auf Frankreichs Straßen scheint unterdessen abzuebben. Erneut waren 45.000 Polizisten im Einsatz - doch die Zahl der Festnahmen ging schon die zweite Nacht in Folge deutlich zurück. Nach vorläufigen Angaben des Innenministeriums wurden diese Nacht rund 80 Menschen festgenommen. Gemessen an den heftigen Unruhen der vergangenen Tage mit Bildern Hunderter brennender Autos und Gebäude sowie teils mehr als 1000 Festnahmen während der Nachtstunden blieb es relativ ruhig.