Macrons Vorhaben Frankreich will Sterbehilfe neu regeln
Anderthalb Jahre lang haben sich etwa 200 Französinnen und Franzosen mit dem Thema befasst: Nun soll die Sterbehilfe reformiert werden. Heute trifft sich Präsident Macron mit beteiligten Bürgern.
Für eines der großen Vorhaben in der zweiten Amtszeit von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat diese Woche der gesetzgeberische Marathon begonnen. Es geht um die Sterbehilfe: Seit Montag hört der zuständige Parlamentsausschuss Experten zu dem Thema an.
Heute trifft sich Macron mit einem Bürgerkonvent - etwa 200 per Los ausgewählte Franzosen und Französinnen haben darin anderthalb Jahre lang mitgewirkt. Jean-François Delfraissy war im Vorstand dieses Konvents, seit fast einem Jahrzehnt steht er auch Frankreichs Ethikrat vor. Während der Covid-Pandemie war er Chefberater der französischen Regierung, als Immunologe hat er Aidskranke betreut und am HI-Virus geforscht. Sein Engagement für das Thema Sterbehilfe kommt nicht von ungefähr.
"Wie in Deutschland und den USA haben auch wir ab 1990 eine schwarze Zeit erlebt, bis 1996 die ersten Therapien kamen. Viele jüngere Menschen sind damals gestorben. Sie wollten leben, forderten Medikamente", sagt Delfraissy. "Doch einige waren am Ende, erblindet, hatten zehn Mal Durchfall am Tag. Sie forderten im Namen ihrer Würde, wir sollten ihnen helfen zu sterben - das hat mich für mein ganzes Leben geprägt."
Patienten müssen an unheilbarer Krankheit leiden
Delfraissy hat daher eine dezidierte Meinung, wie das Lebensende medizinisch und ethisch betreut werden sollte und wie man Betroffenen helfen könne. Diese Meinung findet sich im neuen Gesetz wieder, das ab Ende Mai im französischen Parlament debattiert werden soll.
"Den Patienten wird die Möglichkeit der Sterbehilfe eröffnet. Das Gesetz erfüllt den Wunsch, in den letzten Momenten begleitet zu werden", erklärt Delfraissy. Dies habe mit Euthanasie nichts zu tun. Auf Wunsch könne der Patient selbst todbringende Medikamente einnehmen.
Dafür müsse er an einer unheilbaren Krankheit leiden, die ihm kurz oder mittelfristig kaum Überlebenschancen lässt. Man spreche bei allen Unwägbarkeiten von einigen Wochen bis Monaten, definiert Delfraissy.
"Zugang zur Sterbehilfe unter strengen Bedingungen"
"Das alles muss vorher durch ein medizinisches Team genehmigt werden. Davon sind Minderjährige und ausschließlich psychisch Erkrankte ausgeschlossen", erläutert Delfraissy weiter. Die Betroffenen sollen sich bei vollem Bewusstsein entscheiden, was etwa auch Alzheimer-Patienten ausschließt. Zahlen aus Belgien oder der Schweiz belegten, 50 Prozent der Patienten entschieden sich wieder um.
Wie der Immunologe Delfraissy hat diese Woche auch Gesundheitsministerin Cathérine Vautrin im Parlamentsausschuss Auskunft gegeben. Sie meint, es sei ein ausgewogener Gesetzestext, der es schaffe, die unterschiedlichen Interessen und Rechte zu berücksichtigen und so den Zugang zur Sterbehilfe unter strengen Bedingungen zu ermöglichen.
85 Prozent der Franzosen für Sterbehilfe
Laut einer Umfrage des Instituts IFOP befürworten 85 Prozent der Franzosen und Französinnen einen assistierten Suizid; drei Viertel loben die Arbeit des Bürgerkonvents. Ablehnender sind rechtskonservative Kreise und die Kirchen, die sich besorgt über den gesellschaftlichen Effekt äußern.
Delfraissy erinnert an die Dimensionen: "60.000 Menschen sterben jährlich in der Palliativmedizin. Das ist jeder zehnte Sterbefall. Es betrifft also nur einen Bruchteil - wie auch in Deutschland." Es bedürfe mehr Forschung, entsprechend gehe es im ersten Teil des Gesetzes um die Stärkung der Palliativmedizin.
Auch Präsident Macron sieht diese Notwendigkeit: "Unser System der Begleitung am Lebensende ist schlecht an die modernen Erfordernisse angepasst." Die Zahl der Palliativbetten sei zwar innerhalb von drei Jahren von 7.500 auf mehr als 9.500 im Jahr 2022 gewachsen.
Aber es wird zu langsam aufgestockt und das Angebot ist zu ungleich verteilt: 21 Départements mit mehr als 100.000 Einwohnern haben keine Palliativbetten. Manche Region hat keine mobilen Palliativkräfte für Kinder. Und das Pflegepersonal hat sich die Palliativkultur nicht ausreichend angeeignet - mangels Ausbildung.
Der Chef des Ethikrats sieht trotzdem enorme Fortschritte. In den nächsten zehn Jahren will Frankreich zudem elf Milliarden Euro in die Palliativmedizin investieren. Wichtig ist Delfraissy auch die deutsch-französische Zusammenarbeit: "Im Bereich Bioethik treffen wir uns jedes Jahr mit dem Deutschen Ethikrat."
Nicht immer komme man da zu den selben Schlüssen. "Ich dachte, dass wir schneller zu einem europäischen Ethikrat kommen würden, aber das ist kompliziert, wie Europa generell." Trotzdem teilten Franzosen und Deutsche schon jetzt viele bioethische Visionen.