Proteste gegen Frankreichs Rentenreform Beharrlich und immer wieder gewaltsam
Erneut ist es in Frankreich bei den Protesten gegen die Rentenreform in mehreren Städten zu Ausschreitungen gekommen. 175 Polizisten wurden verletzt, 201 Menschen festgenommen. Politisch scheint die Lage verfahrener denn je.
Alice war von Anfang an auf der Straße, bei fast jeder Demo: "So gut wie alle! Aber die letzten beiden waren mir echt wichtig - was zu viel ist, ist zu viel!"
Dieses "zu viel" sei aus Sicht vieler junger Menschen der umstrittene Verfassungsartikel 49.3 gewesen, glaubt Alice. Seit die Regierung damit die Rentenreform durchs Parlament gebracht hat - ohne Abstimmung - kämen mehr junge Menschen zu den Demos, beobachtet die 29-Jährige.
Artikel 49.3 war wirklich ein Wendepunkt. Seitdem geht es nicht mehr nur um die Rentenreform, sondern auch um die Demokratie. Das hat viele Jugendliche motiviert, die diesen Prozess und das Misstrauensvotum verfolgt haben und nun auf die Straße gehen.
Fokus auf gewaltbereite Minderheit
Auf Bildern sieht man im Moment vor allem die Ausschreitungen am Rand der Demos. Um es klar zu sagen: Die allermeisten Menschen protestieren weiter friedlich gegen die Reform. Im Zusammenhang mit den Ausschreitungen rücken seit letzter Woche die so genannten "black blocs" in den Fokus: vor allem sehr junge Demonstrierende, die das Innenministerium der ultra-linken Szene zurechnet. Der Journalist Thierry Vincent hat sich intensiv mit den "black blocs" beschäftigt.
"Sie kommen oft aus Gesellschaftsschichten mit 'kulturellem Kapital', also mit einem eher privilegierten Zugang zu Bildung und Kultur. Kinder von Lehrern, Künstlern - auch Journalisten", so Vincent am Abend im Fernsehsender France5. "Sie haben keine feste Struktur; es sind viele kleine, wenn Gruppen. Sie sind gern da wenn man sie nicht erwartet - und kommen nicht, wenn man mit ihnen rechnet. Ihre Stärke, wenn Sie so wollen, ist ihre Unberechenbarkeit."
Politischer Stillstand
Politisch geht es in der Debatte gerade weder vor noch zurück. Am Dienstag hatten die Gewerkschaften vorgeschlagen, einen Mediationsprozess zu starten und dafür unabhängige Vermittler zu benennen. Die Regierung hat dieser Initiative eine Absage erteilt. Aktuell liegt das Projekt beim Verfassungsrat - und der könnte mehrere Punkte für verfassungswidrig erklären, glaubt Dominique Rousseau, Experte für Verfassungsrecht. Aus seiner Sicht hatte unter anderem das Parlament zu wenig Mitsprache.
Im Senat haben Sie zum Beispiel Regeln angewandt, mit denen insgesamt weniger Redner zugelassen wurden, oder die es erlaubt haben, dass nur diejenigen Änderungsanträge beibehalten wurden, die die Regierung eingebracht oder denen sie zugestimmt hat. Und dann kam noch Artikel 49.3! Das und mehr ist insgesamt ein bisschen viel - man kann argumentieren, dass das eine offenkundige, schwerwiegende und wiederholte Einschränkung ist für das Recht des Parlaments, in Ruhe über ein Gesetz zu debattieren.
Bis Mitte April muss der Verfassungsrat entscheiden. Dass es bis dahin einen politischen Kompromiss geben könnte, scheint im Moment nur schwer vorstellbar. Immerhin: Offenbar will Premierministerin Elisabeth Borne die Gewerkschaften Anfang der Woche empfangen. Am nächsten Donnerstag soll es den nächsten landesweiten Aktionstag geben.
In Paris ist sich der 21-jährige Mael sicher, dass die Proteste gegen die Reform weitergehen. Aus seiner Sicht kommt es dabei aber weniger auf die Demos an - sondern vor allem auf die Streiks: "Die Blockaden, die Streiks zum Beispiel in den Raffinerien. Die Demos sind ein Gradmesser für die Unzufriedenheit. Aber die eigentliche Bewegung - die zeigt sich woanders."