Umstrittene Rentenreform Frankreichs Regierung übersteht Misstrauensvoten
Nach langem Streit ist die von Frankreichs Präsident Macron vorangetriebene Rentenreform beschlossene Sache. Die Opposition scheiterte in der Nationalversammlung mit zwei Misstrauensanträgen. Trotzdem wurde die Regierung abgestraft.
In Frankreich hat die Regierung zwei Misstrauensanträge wegen ihrer umstrittenen Rentenreform knapp überstanden. Für den ersten Antrag der kleinen Zentrumspartei Liot stimmten demnach 278 Abgeordnete. Um der Regierung das Misstrauen auszusprechen, wären die Stimmen von mindestens 287 Abgeordneten nötig gewesen. Es fehlten also neun Stimmen.
Das bedeutet, es muss eine größere Zahl an Abweichlern unter den konservativen Republicains gegeben haben, als angenommen. Die Regierung hatte sie mit milliardenschweren Zugeständnissen umworben.
Einen weiteren Misstrauensantrag reichte das rechtsnationale Rassemblement National ein. Er erhielt lediglich 94 Stimmen. Mit dem Scheitern beider Voten gilt die Rentenreform als angenommen. Sie wird dann an den Verfassungsrat weitergeleitet. Wenn er sie bestätigt, tritt sie in Kraft.
Landesweite Proteste
Am Abend kam es in mehreren französischen Städten erneut zu gewalttätigen Protesten. In der Hauptstadt Paris wurden mindestens 142 Menschen festgenommen. Elf Polizisten seien in der Nacht verletzt worden, berichtete der Sender BFMTV unter Berufung auf Polizeiquellen. Einige Demonstranten hätten unter anderem Mülltonnen angezündet. Allein in Paris seien rund 2000 Polizisten im Einsatz gewesen.
Auch in anderen Städten wie Saint-Étienne, Straßburg, Amiens, Caen und Toulouse kam es laut Franceinfo zu spontanen Demonstrationen.
Ministerpräsidentin nutzte Verfahrenskniff
Vergangene Woche hatte Ministerpräsidentin Elisabeth Borne die umstrittenen Pläne von Präsident Emmanuel Macron zur Anhebung des Renteneintrittsalters durch einen Verfahrenskniff durchgebracht. Sie berief sich auf den Verfassungsartikel 49.3. Dieser sieht vor, dass ein Gesetz ohne Abstimmung im Parlament durchgesetzt werden kann, wenn die Regierung anschließend eingebrachte Misstrauensanträge übersteht. Die Opposition hatte daraufhin umgehend ein Misstrauensvotum angekündigt.
Die Durchsetzung eines Misstrauensantrags ist allerdings schwierig - seit 1962 war in Frankreich keiner mehr erfolgreich. Zu dem Sonderartikel kann die Regierung in Haushaltsfragen greifen - wie nun bei der Rentenreform. Darüber hinaus darf sie das Mittel nur einmal pro Parlamentsjahr nutzen.
Opposition kündigt Verfassungsbeschwerde an
Aus der Opposition kam nun massive Kritik. "Die Regierung hat keine Legitimität mehr, die Premierministerin muss zurücktreten", sagte die Fraktionschefin der Linkspopulisten, Mathilde Panot. Linke und Rechtsnationale wollen morgen den Verfassungsrat anrufen. Auch mit einem aus dem Parlament initiierten Referendum wollen sie versuchen, die Reform noch zu Fall zu bringen. Macron könne nicht so tun, als sei nichts passiert, sagte Marine Le Pen vom Rassemblement National, das Mindeste wäre, Borne auszuwechseln. Formell kann die Regierungschefin aber im Amt bleiben.
Borne hatte die Reform zuvor verteidigt und die Opposition angegriffen. Deren unzählige Änderungsanträge hätten die Debatte unmöglich gemacht. Nicht der Artikel 49.3, den General de Gaulle eingeführt habe und kein Diktator. "Wenn Sie die Regierung zu Fall bringen wollen, dann haben sie jetzt die Möglichkeit dazu", schloss Borne ihre Rede wütend.
Borne könnte Amt verlieren
Trotzdem scheint die politische Zukunft Bornes ungewiss. Präsident Macron dürfte einen symbolischen Neuanfang wagen - wohl auch mit aufgefrischter Regierungstruppe. Seit Tagen wird bereits über die Zukunft der Premierministerin spekuliert, deren immer und immer wieder betonte Suche nach einem Kompromiss letztlich krachend scheiterte.
Doch die Personalie ist kompliziert. Borne ist erst die zweite Premierministerin in Frankreich. Ihre Vorgängerin Édith Cresson war in den 1990er Jahren lediglich elf Monate im Amt. Ginge Borne nun, würde sie das noch unterbieten. Macron, der sich gerne als Verfechter der Gleichstellung inszeniert, dürfte dies zu vermeiden versuchen. Gemunkelt wird, dass Borne daher mindestens noch bis Anfang April auf ihrem Posten bleibt.
Beobachter erwarten Gegenwind für Macron
Doch selbst mit neuen Gesichtern im Kabinett müsste Macron sich auch persönlich fragen, wie er nun weiter machen will und kann. Mit der Rentenreform hat er den Frust Hunderttausender Franzosen auf sich gezogen, der sich in den vergangenen Tagen bei spontanen und teils gewaltsamen Protesten entlud.
Die Gewerkschaften wollen weiter mobilisieren, für Donnerstag sind weitere Streiks und Proteste geplant. Beobachter gehen davon aus, dass der Präsident künftig noch mehr Gegenwind bei der Durchsetzung von Reformvorhaben bekommen wird.
Die Rentenreform sieht vor allem vor, das Renteneintrittsalter bis 2030 schrittweise auf 64 Jahre anzuheben. Derzeit liegt das Renteneintrittsalter bei 62 Jahren. Tatsächlich beginnt der Ruhestand im Schnitt aber später: Wer für eine volle Rente nicht lange genug eingezahlt hat, arbeitet länger. Mit 67 Jahren gibt es dann unabhängig von der Einzahldauer Rente ohne Abschlag - dies will die Regierung beibehalten, auch wenn die Zahl der nötigen Einzahljahre für eine volle Rente schneller steigen soll. Die monatliche Mindestrente will sie auf etwa 1200 Euro hochsetzen. Mit der Reform will die Regierung eine drohende Lücke in der Rentenkasse schließen.
Mit Information von Stefanie Markert, ARD-Studio Paris