Proteste in Frankreich "Deshalb muss es jetzt mal knallen"
Macrons Rentenreform hat erneut Hunderttausende Franzosen auf die Straße gebracht. Wieder stand das öffentliche Leben weitgehend still. Ein Ende des Kräftemessens ist nicht in Sicht. Die Gewerkschaften kündigten neue Proteste an.
Sie sind laut und sie sind viele - hier in Paris und in allen Ecken des Landes, wo die Streikführenden insgesamt 265 Demonstrationen angemeldet hatten. Auf den Plakaten prangt Präsident Emmanuel Macron, dargestellt als Totengräber der sozialen Errungenschaften.
Ariane ist eine der Teilnehmerinnen der Demo. Die Forscherin findet die Erhöhung des Renteneintrittsalters vor allem für all jene ungerecht, die körperlich schwer arbeiten. "Man kann die Rentenkasse doch auch anders aufpäppeln als damit, dass die Menschen länger arbeiten", sagt sie. "Die Arbeitgeber sollen halt mehr Beiträge zahlen." Man könne doch nicht verlangen, dass die Leute bis an ihr Lebensende arbeiten. Vor allem nicht diejenigen, die einer schweren oder völlig stumpfen Tätigkeit nachgingen.
Drängendere Themen
Ein Grüppchen trägt eine große weiße Figur durch die Straßen. Es ist die personifizierte Gerechtigkeit. Sie blutet im Gesicht und ist schwer angeschlagen. Der schlaksige hochgewachsene Mehmet studiert noch. Er hat ein Schild gemalt mit der Aufschrift "Rente vor dem Weltuntergang". Seiner Meinung nach gibt es viel drängendere Themen als die Rente. "Man muss erst mal die Klimakrise lösen, sonst wird es ohnehin niemanden mehr geben, der in Rente geht", sagt Mehmet.
Die Regierung höre einfach nicht zu und verstehe nicht, worauf es ankomme, meint Dimitri. "Wir haben nicht die Regierung, die wir brauchen. Deshalb muss es jetzt mal knallen." Sie bräuchten jetzt ein Zeichen der Blockade, damit noch mehr Menschen auf die Straße gingen und die Bewegung "richtig Zündstoff kriegt".
Attal: Streiks zwingen die Arbeiter in die Knie
Der Vorwurf die Regierung sei taub und höre nicht zu, möchte Gabriel Attal, stellvertretender Minister für öffentliche Finanzen, nicht gelten lassen. "Wir haben immer denjenigen zugehört, die sich gegen unsere Reform stellen, im Parlament und auf der Straße", sagt er im Senat. Er verteidige das Streikrecht.
"Aber ich bekämpfe diejenigen, die das Land lahmlegen wollen, die die Wirtschaft - wie es von einigen Gewerkschaftsvertretern hieß - in die Knie zwingen wollen", betont Attal. Damit zwinge man in Wahrheit die Unternehmen, Fabriken und Arbeiter in die Knie. Das wolle die Mehrheit der Franzosen gerade nicht, so der Minister.
"Wir sind ein Volk von Protestlern und Empörten"
Attal spricht Nicolas aus der Seele. Der Besitzer eines Geschäfts für moderne Teppiche und Innenausstattung auf dem Boulevard Raspail ist vor die Ladentür getreten und schaut kopfschüttelnd den Demonstrierenden zu. Den heutigen Tag kann er abschreiben. "Ich werde heute keine Einnahmen haben, das ist doch klar", sagt Nicolas.
Die Rentenreform sei der einzige Weg, das System ausgeglichen zu halten. "Wir leben länger, also müssen wir auch länger arbeiten", meint der Händler. "Das ist doch logisch." Überall in Europa sei das der Fall. Doch die Franzosen seien ein Volk von Protestlern und Empörten. Es gebe keinen richtigen sozialen Dialog.
Kein Ende des Machtkampfs in Sicht
Die Gewerkschaftsführer dagegen frohlocken. Der heutige Tag werde mit einem Rekordergebnis zu Ende gehen, sagt Laurent Berger, Generalsekretär von Frankreichs größter Gewerkschaft CFDT, voraus.
Die Regierung hingegen hofft, dass ihr Kernanliegen, die Erhöhung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre, heute noch im Senat beschlossen wird. Ein Ende des Kräftemessens zwischen Gewerkschaften und Regierung wäre das allerdings nicht. Im Gegenteil. Der Machtkampf setzt sich diese Woche mit weiteren bereits angekündigten Streik- und Protestaktionen fort.