Zentrale der EU-Kommission in Brüssel.

EU-Führungspositionen Wo sind die Frauen?

Stand: 31.07.2024 05:25 Uhr

Auf dem Papier ist das Ziel festgeschrieben: In den EU-Institutionen sollen Frauen und Männer bei wichtigen Jobs gleichberechtigt zum Zug kommen. Vor allem im EU-Parlament gibt es hier noch Nachholbedarf.

Von Laura Costan und Christian Feld, ARD-Studio Brüssel

Ursula von der Leyen hat in den kommenden Wochen ein kniffeliges Puzzle zu lösen: Mit welchem Team will sie ihre zweite Amtszeit angehen? Die Aufgabe lautet konkret: Verteile 25 Posten so auf 25 EU-Länder, dass am Ende alle Hauptstädte einigermaßen damit leben können. Nicht alle Ressorts in einer EU-Kommission bringen die gleiche Macht, das gleiche Prestige mit sich. Es wird am Ende auch Enttäuschungen und Trostpreise geben.

Doch da ist ein zusätzlicher Schwierigkeitsgrad. Ursula von der Leyen will wiederholen, was ihr bei ihrer ersten Amtszeit als Präsidentin der EU-Kommission gelungen ist. Wenn sie sich einmal in der Woche mit ihren Kommissarinnen und Kommissaren zur Sitzung trifft, will sie um den großen Tisch möglichst gleich viele Frauen wie Männer sitzen haben. Zuletzt war das Verhältnis 14 (männlich) zu 13 (weiblich).

Die EU-Staaten entscheiden mit

Es liegt jedoch nicht allein in von der Leyens Hand, das Ziel der Geschlechterparität zu erreichen. Sie spricht zwar bei dem Personaltableau das letzte Wort, die Vorschläge für die möglichen Kommissarinnen und Kommissare kommen jedoch von den Regierungen der EU-Staaten. Jedem Land steht ein Posten zu. Deutschland und Estland sind bereits versorgt: mit von der Leyen als Präsidentin und Kaja Kallas, die als EU-Außenbeauftragte vorgesehen ist.

Und der Rest? In der vergangenen Woche hat von der Leyen Briefe an die Staats- und Regierungschefs geschickt und um Namen gebeten: Jeweils ein Mann und eine Frau, bitte sehr! Ausgenommen sind Fälle, in denen ein Kommissionsmitglied im Amt bleibt. So setzt die Slowakei erneut auf Maroš Šefčovič, Frankreich auf Thierry Breton. Kroatien schickt wieder Dubravka Šuica.

Ziel mit aktuellem Bewerberfeld kaum zu erreichen

Denkbar, dass von der Leyen den Staats- und Regierungschefs im Vorfeld ein Signal gegeben hat: Bei der Verteilung der unterschiedlich attraktiven Ressorts könnte es sich lohnen, Mann und Frau vorzuschlagen. Doch schon jetzt ist klar, dass sich viele Hauptstädte nicht an den Wunsch halten. Irland hat Michael McGrath nominiert, der dafür bereits als Finanzminister zurückgetreten ist.

Ministerpräsident Harris sagt, unter diesen Umständen sei es "unfair" gewesen, zusätzlich eine weitere Person nach Brüssel zu melden. Slowenien und Tschechien setzen jeweils nur auf einen männlichen Vorschlag. In Schweden und Spanien ist der einzige Name weiblich. Stand jetzt erscheint es nicht gesichert, dass ein ausgewogenes Verhältnis Wirklichkeit wird.

Langwieriger Prozess

Bis zum 30. August hat Ursula von der Leyen den Staats- und Regierungschefs für ihre Antworten gegeben. Wie der Rücklauf konkret aussieht, will die EU-Kommission auf Nachfrage nicht bekannt machen. Endgültige Gewissheit, wie es um ein ausgeglichenes Verhältnis von Männern und Frauen bestellt ist, gibt es auch nach Ablauf der Frist noch nicht. In die Kommission zieht nur ein, wer die mehrstündige Anhörung im EU-Parlament übersteht.

Grundsätzlich gibt es auf Spitzenpositionen der EU durchaus viele Frauen. Von der Leyen hat und behält als Kommissionspräsidentin den wohl mächtigsten Posten, der aktuell in Brüssel zu vergeben ist. Aus ihrer ersten Amtszeit stammt die Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter.

Einige Punkte wie ein Gewaltschutzpaket oder ein Gesetz, das Ausgewogenheit in Aufsichtsräten große Unternehmen gewährleisten soll, wurden bereits umgesetzt. Die Europäische Zentralbank führt Christine Lagarde, die Europäische Investitionsbank die Spanierin Nadja Calvinho. Die erste europäische Generalstaatsanwältin heißt Laura Kövesi.

Fachausschüsse vornehmlich männlich besetzt

Ein gemischtes Bild zeigt sich beim EU-Parlament. Für das Präsidium sieht die Geschäftsordnung ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis vor. Das hat geklappt für die 14 Vizepräsidentinnen und -präsidenten. An der Spitze bleibt Präsidentin Roberta Metsola im Amt. Haken dran.

Anders sind die Zahlen bei den Fachausschüssen inklusive den Unterausschüssen, wo jeweils ein Vorsitz und vier Stellvertretungen zu bestimmen sind. Bis jetzt sind 114 von 120 Posten gewählt. Der Anteil der Frauen: gut 43,9 Prozent. Schaut man nur auf den Vorsitz, ist der Frauen-Anteil nur noch 37,5 Prozent.

Brandmauer vor Gleichberechtigung

Manchmal wird das Ziel der Gleichberechtigung ganz bewusst gebrochen - aus politischen Gründen. Die Parteien, die sich selbst als politische Mitte bezeichnen, haben sich vorgenommen, dass Rechtsaußen-Parteien keine Führungspositionen bekommen sollen.

Ein konkretes Beispiel: Als im Auswärtigen Ausschuss der vierte Vize-Vorsitz gewählt wurde, hätte eigentlich eine Frau zum Zuge gekommen müssen. Die Fraktion "Patrioten für Europa" stellte Kinga Gal von der ungarischen Fidesz zur Wahl. Eine Gegenkandidatin aus der Mitte gab es nicht. Und so bekam am Ende ein Christdemokrat aus Rumänien den Job. In diesem Fall galt also: Brandmauer vor Gleichberechtigung.