Ausschreitungen in Tiflis Verletzte bei erneuten Protesten in Georgien
Tausende haben in Georgien den sechsten Tag in Folge gegen die Russland-freundliche Regierung demonstriert. Erneut kam es zu Ausschreitungen. Der Ombudsmann für Menschenrechte spricht von systematischer Gewalt.
Trotz Strafandrohungen des georgischen Premierministers Irakli Kobachidse sind in Georgien den sechsten Abend in Folge Tausende Menschen auf die Straße gegangen, um gegen den Aufschub der EU-Beitrittsverhandlungen durch die Russland-freundliche Regierung zu protestieren. Die Demonstranten versammelten sich vor dem Parlament in der Hauptstadt Tiflis und schwenkten die Flaggen Georgiens und der EU.
Einige Demonstrierende warfen Feuerwerkskörper in Richtung des Gebäudes. Die Polizei rief die Protestierenden per Lautsprecher dazu auf, die Demonstration aufzulösen. Anschließend setzte sie erneut Wasserwerfer und Tränengas ein - unter anderem, um Demonstrierende davon abzuhalten, über die Mauern des Parlamentsgebäudes zu klettern. Unabhängige georgische Fernsehsender berichteten von Festnahmen.
Ombudsmann wirft Polizei "Akt der Folter vor"
Die proeuropäische Präsidentin Salome Surabischwili bezeichnete das Vorgehen der Polizei im Onlinedienst X als "unverhältnismäßig". Sie kritisierte "massive Festnahmen und eine schlechte Behandlung". Insgesamt sind seit dem Beginn der jüngsten Protestwelle laut Innenminsterium 293 Menschen festgenommen worden. 143 wurden demnach verletzt.
Der georgische Ombudsmann für Menschenrechte, Levan Ioseliani, erklärte, dass sich die meisten Verletzungen der Demonstrierenden "auf das Gesicht, die Augen und den Kopf konzentrieren". Die Lage, Art und Schwere der Verletzungen deute "stark darauf hin, dass die Polizei Gewalt gegen Bürger als Strafmaßnahme anwendet", was "einen Akt der Folter darstellt", fügte er hinzu.
Premier: Oppositionsgruppen nutzen bewusst Gewalt
Der georgische Innenminister beschuldigte hingegen die Protestierenden, "verschiedene Arten von stumpfen Gegenständen, Feuerwerkskörper und brennbare Objekte" auf die Ordnungskräfte geworfen zu haben. Premier Kobachidse hatte Oppositionsgruppen zuvor vorgeworfen, bei den massiven Protesten gegen die Regierung bewusst Gewalt eingesetzt zu haben.
Er drohte gestern zudem mit der Bestrafung politischer Gegnerinnen und Gegner. Oppositionspolitiker hätten "die Gewalt in den vergangenen Tagen inszeniert", sagte er bei einer Pressekonferenz. Auch Nichtregierungsorganisationen könnten sich nicht der gesetzlich festgelegten Verantwortung entziehen.
Aufschub der EU-Beitrittsverhandlungen bis 2028
Die massiven Proteste in dem Kaukasusstaat hatten am Donnerstagabend begonnen. Sie richten sich insbesondere gegen den von Kobachidse angekündigten Aufschub der EU-Beitrittsverhandlungen des Landes bis 2028. Mehr als 220 Demonstrierende wurden laut dem Innenministerium seit Beginn der Proteste festgenommen. Mehrere Dutzend Demonstranten, Journalisten und Sicherheitskräfte wurden verletzt.
Georgien ist seit Dezember 2023 offiziell EU-Beitrittskandidat. Seitdem hat die Moskau-freundliche Regierung aber mehrere Gesetze verabschiedet, die in Brüssel große Sorge hervorrufen, darunter ein Gesetz nach russischem Vorbild gegen "ausländische Einflussnahme". Die EU fror deshalb Ende Juni den Beitrittsprozess mit Georgien ein. Die Opposition beschuldigt die Regierung, Georgien von der EU zu entfernen und die ehemalige Sowjetrepublik wieder an Russland annähern zu wollen.